Über den Autor als Homo politicus und die Verbindung von elaborierter Form mit publizistischer Sorgfalt. SWR Dokublog > Radioblog vom 14. April 2015.
Günter Grass ist tot. Alles und noch mehr wurde zu diesem Anlass gesagt. Ich habe den Mann verehrt, mitsamt seinem späten SS-“Geständnis” und dem missratenen Israel-Gedicht – welche Biographie verläuft so geradlinig, wie es sauber sortierende Nachgeborene gern hätten ? Autoren mit ihren Stärken, Schwächen und Fehlern all inclusive; Menschen, die hinter Ihrem Werk als Person erkennbar bleiben; Augen- und Ohrenzeugen einer “Wirklichkeit”, die in Ausschnitten auch die unsere ist oder gerade eben noch war – auch von ihnen handelt dieser Blog.
So wie Grass “wird es keiner mehr machen” schreibt der Kolumnist des Berliner “Tagesspiegels” heute auf Seite 1, “weil die Menschen mit diesen Kriegs- und Nachkriegsbiografien aussterben und die Rants im Internet an der Tagesordnung” sind – das “leere Geschwätz”, das “Gezeter” in den (a)sozialen Medien also. Und weiter in der Spalte mit dem polemischen Titel “Günter Grass – Das Salz der Herde”: Als “letzter seiner Art” habe der Verstorbene “das Dichterische und das J’accuse kultiviert (…) Die Zeit wird es trennen. Es hilft den Büchern, wenn man sie befreit von der Last der Eitelkeit und der Moral des Tages. Dann kann und wird bleiben: die Literatur”.
Den einen also die Moral, die Teilnahme, auch die Courage – den anderen die Kunst um ihrer selbst willen. L’art pour l’art. Gerade Grass hatte uns die (trügerische?) Sicherheit gegeben, dass wir über diese Trennung längst hinweg wären – und mit ihm auch andere große Gestalten der Literatur und Mediengeschichte, in unserem Radiofach Axel Eggebrecht oder Ernst Schnabel zum Beispiel.
Sicher: Nicht alles im Werk des Nobelpreisträgers war “ausgewogen” zwischen Einmischung und olympischer Alltagsferne, die besonders wir Deutschen von großen Geistern verlangen. Da mochte der Wahlkampf für Willy Brand schon mal auf das nächste dichterische Projekt, die Erzählung “Tagebuch einer Schnecke”, abfärben. Musste er sogar!
Das Radiofeature, das ich meine, ist nun genau die ideale Verbindung von “künstlerischer” Form, zeitgenössischer Wahrnehmung und professionellem Engagement. Auch die frühen Cracks des Nachkriegs-Features, die ja samt und sonders aus dem Dunstkreis der Literatur kamen, taten sich anfangs schwer mit der Erfahrung, dass zwischen Buchdeckeln versammelte Texte von der Kritik weit höher gehandelt wurden als ihre eigenen flüchtigen Radiowolken. Sie haben den Wert der Verbindung von beiden Sphären erst allmählich schätzen gelernt.
Verkürzt ausgedrückt: Aus Reportage und Literatur entstand etwas Drittes, das – siehe die Programmblätter der deutschen Rundfunkanstalten – bis heute kräftig atmend überlebt hat. Sollten wir, dem Leitartikler folgend, etwa “Eitelkeit und Moral” (womit vermutlich “persönliche Integrität” gemeint ist) und “Literatur” (die elaborierte Form) auseinander klauben? Hier Kröpfchen – dort Töpfchen? Das Feature, an das ich weiterhin glauben mag, ist neben Wortschöpfungen, Tonmalereien und Montagekunst auch eine Gattung der Einmischer.