Knut Hickethier in epd über „Die zehn Geräusche meines Lebens“ (SFB am 5. 2. 1993)
Das Wort „Audiobiographie“ lässt „Autobiographie“ assoziieren, eine gehörte Lebensgeschichte also, eine Geschichte des Hörens in der Biographie. Kopetzkys Sendung ist mehr eine Liebeserklärung an das Radio. Das ist selten heute, im Zeichen der Radioformatierung und der Fließprogramme. „Ich bin ein Kind des Radiozeitalters“, sagt Kopetzky und beginnt mit Kindheitserinnerungen, Nachkriegszeit mit Eisendrahtantenne in der Mansarde und einem Blaupunkt. Mit AFN und Ici Paris. „Radio war wie Ausreißen für viele“, und er erzählt von Ernst Schnabels Flug um die Welt und einem Feature von drei Stunden Länge und begeistertem Lauschen am kratzenden Empfänger.
Kopetzkys Erinnerungen sind etwas wehmütig, aber sie sind auch dort, wo sie vom merkwürdig flüchtigen Phänomen des Hörens handeln, genau. Er versucht nichts anderes als eine Kulturgeschichte des Hörens, der Wahrnehmung und der Bedeutung des Radios in ihr. Er erzählt von Hörerfahrungen, die ihn und seine Generation prägten, und er gibt, zwischen seinen Erinnerungen Beispiele von Tönen und Klängen. Auch der Hörer, dessen Freiheit im Hören er herausstellt als mediale Eigenheit, kann sich selbst ein „Bild“ machen von dem, was er hört, kann die Assoziationen, von denen der Autor berichtet, mit seinen eigenen Bildern im Kopf vergleichen. „Jeder hört in seinem Kopf“, sagt er. Aber ob sich sein Gegensatz des Hörens zum Fern-Sehen als Zu-Schauen so halten lässt, wie er ihn apodiktisch setzt, lässt sich mehr als bezweifeln. Doch die Zuspitzung auf diesen Gegenstand zwischen Zuschauen und Hören schärft den Blick und provoziert das Denken darüber.
Irgendwann wurden dem Autor die Geräusche, die Töne und Klänge zum Beruf, er selbst zum Reporter, doch wir erfahren nichts darüber. Kopetzky ist jetzt dabei, Töne auf dem Magnetband zu konservieren, jagt nach den Tönen. Dass wir so wenig über diese autobiographisch nicht unbedeutende Entscheidung erfahren ist kennzeichnend. Das Eigene gilt ihm wenig, wenn es denn nicht auch typisch ist für eine Epoche, für eine Entwicklung, die viele betrifft.
Ich habe nicht nachgezählt, ob es tatsächlich 10 Geräusche waren, die der Autor vorführt. Die Geräusche werden auch eher eingewoben in den Text als didaktisch vorgeführt. Sie entfalten einen eigenen Rhythmus, eine eigene Musikalität, die die Reflexionen über das Hören und das Radio akzentuieren und anreichern um ein sinnliches Moment der Erfahrung.
Um den Höralltag heute, den akustischen Brei bewusst zu machen, in den in unserem großstädtischen Alltag Geräusche „eingekocht“ werden, geht er kulturgeschichtlich bis zu Goethes „Belagerung von Mainz“ und Walt-Whitman-Gedichten zurück, und in den wenigen Zitaten wird deutlich, dass damals die Geräusche vor einem anderen, stilleren Hintergrund wahrgenommen und deshalb auch genauer gehört wurden. Bei Kopetzky werden die Verluste sinnfällig, die sich historisch mehr schleichend als durch einen harten Bruch ergeben haben, doch er klagt nicht an, fordert nicht, er konstatiert nur die Veränderungen, auch die neuen Möglichkeiten des genauen Hörens durch die Technik, durch den Stereoton, der den Hörraum in ganz neuer Weise realisiert hat.
Kopetzky fasziniert durch den essayistisch leichten Gang, die Genauigkeit, mit der er Veränderungen beschreibt, vom Altern der Geräusche mit uns, von unserer Bedeutungsaufladung von zunächst eher ambivalenten Tönen, von den gesellschaftlichen Verlusten der Hörkultur im Laufe der Jahrzehnte. Eine Sendung, den Programmchefs, aber auch den Hörern hinter die, besser in die Ohren geschrieben. Ein Hörstück, das als eine Einführung in die Zeitgeschichte des Hörens dienen kann.
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DLF KULTUR / FEATURE-ANTENNE
“Radio Texte Stimmen”
(Moderationstext von Ingo Kottkamp), 12. 5. 2020
“…Seine O‑Töne sind sprechend wie Sätze. Und seine Texte klingend wie Töne…”