Von der Innenseite des Islam
(NDR / SFB+MDR / BR 1995)
Dauer 55:58
Erzähler: Peter Simonischek
(Aus einem vorläufigen Sprechertext mit Autorennotizen)
“Es gibt keinen Gott außer Gott. Und Mohammed ist Gottes Prophet” … Lautsprecher auf hohen goldverzierten Minaretten und auf kleinen, kurzen, schäbigen mit Wellblechdächern. Überall – scheppernd, jaulend, krächzend über den Benzinnebeln. Damaskus hat 350 Moscheen.
“Auf ! Auf zum Gebet !” Richtung Mekka.
Die Nacht kommt schnell. Von den kahlen Hügeln des Antilibanon streicht der fallende Wind durch die Straßenschluchten der Hauptstadt. Die Standbilder des Präsidenten strahlen. Bunt wie Yankee-Christbäume die Busse. Bonbonfarben die Fontänen. Ein Mond wie auf alten Postkarten.
99 Namen hat Allah – Der Allbarmherzige, der Makellose, der Erschaffende, der Allverzeihende, der Allernährende, der Gerechte, der Gewaltige … Achmed sagt sie alle auf. Noch so ein Glücksfall: Achmed Khammas ist alles in einem: Location-Scout, Dolmetscher, Welterklärer. Er spricht “wie gedruckt”. Alles life und an Ort und Stelle. Der Freund aus Berlin ist Syrer von Geburt. Er kennt jeden Winkel in Damaskus. Und er hat ein Auto.
(…)
Heute nix los in Damaskus. Leila, die Schöne der Nacht, sitzt als Mehrfachkopie gelangweilt in der Bar “Paris” und wartet auf das Dollar-Wunder. Nachsaison. Die reichen Freier aus den Ölstaaten sind abgereist. Nix los auch im “Sultan”, im “Messe-Casino”, im “Gigolo”, im “Moulin Rouge”.
Wir fahren ins “Kasr”. “I’m from Romania, my name is Lucy” sagt die Tänzerin. Lucy aus Rumänien. Es gibt keine syrischen Tänzerinnen in Damaskus. “Würden Sie hier ihre Tochter tanzen lassen ?” Boss und Geschäftsführer schütteln synchron die Köpfe. “Ob sie tanzt oder sich prostituiert, ist ziemlich dasselbe”, übersetzt Achmed. “Eine, die das macht // so eine //, würde ihr Bruder und sogar der eigene Vater umbringen ! Es ist gegen unsere Religion!”
Nun endlich tanzt sie – Lucy from Romania. Nicht gut, nicht schlecht. Die Nummer dauert keine acht Minuten. Alle sind begeistert, auch der Boss und sein Geschäftsführer tun so. Familienväter stecken Lucy bündelweise Lira in den Ausschnitt.
(…)
“… Der Mekkapilger Abu-Ali beehrt sich, aus Anlass der Hochzeit seines Sohnes, des Jungmanns Na’im Abu-Mohammed mit der Tochter des Ruschdi ‘Ajineh Abu-Rateb am Abend des 24. Djamadi Aual 1415, abends sieben Uhr, in das Haus seines Bruders Ali ‘Ajineh in Madiera einzuladen. Mit Eurem Kommen wird unsere Freude komplett !” Madiera ist ein Vorort von Damaskus, konservativ bis ins Mark.
Achmed zeigt noch auf das Kleingedruckte: “Wir bitten auf Schießerei zu verzichten !”
Trotzdem wird scharf geschossen, auf dieser Seite des Dorfs. Madiera in Aufruhr. Die männliche Jugend tobt durch den stockfinsteren Ort. Stampft und schreit und fuchtelt mit Pistolen. “Oh, wie
schön bist du, mein Madiera ! Dir zu Ehren 16 Salven aus der Russischen!” Sie küssen einander im Scherz: So und so und so wird er’s machen mit ihr ! “Allah u akbar !” rufen sie im Chor. “Gott ist groß ! Er soll ihn stärken ! Kraft und Ausdauer für unseren liebsten Na’im ! Auf dass er lange durchhält!”
Na’im, im Haus des Bräutigams, ein weißes Handtuch um die Hüften, ist der Champion in diesem Match. Von seinen Kumpels wird er gesalbt, geschminkt, frisiert, gefönt, mit Goldflitter bestäubt. “Heute nacht, mein Junge ! Heut’ nacht !”
Der Reporter mit seinem Gebammel – Spulen-Tonbandgerät, Stereo-Mikro, Kopfhörer, von Kabeln umwickelt wie Laokoon von den Schlangen. Hat sich in eine Fensternische geflüchtet. Der Raum ist niedrig, voll schwitzender Körper, die stossen, stampfen, hüpfen … und über den Köpfen dieses Pistolengefuchtel … // Platzangst, wie selten … Blutbad-Visionen … Aber ich darf keine Angst zeigen / Lache Bajazzo ! Dieser Lärm – kaum auszusteuern — und doch denke ich: Das wirst Du nie mehr erleben ! “Schreib das auf, Kisch !” Diese … Brunst !
Notizblock, Spulen, Batterien in der // Anglerweste // Jetzt nur nichts verwechseln, verpassen … Die Hände sind glitschig, das Hemd durchweicht, die Brille beschlagen …
Am anderen Ende des Dorfes: 250 Frauen auf dem Flachdach eines neuen Hauses. Mit Teppichen und großen Tüchern ist die Party gegen Männerblicke abgeschirmt.
Dort ist H. mit ihrem kleinen Schwarzen: Sony Walkman Professional in der Bluse, Mini-Mikros – OKMs – in den Ohren. Under cover…
Die Braut wie eine Teepuppe, so reglos – eingerahmt von ihren Jungfern, weiß und glänzend, perlend, wolkend, bauschend, glitzernd. Lebensgroße Nippsachen —
so beschreibt mir ’s Heidrun hinterher. Sie ist // fabelhaft // im Beobachten, Auge, wo ich nur noch Ohr bin.
(…)
Ein weiträumiger Innenhof. Feuer brennen zwischen Neubauten aus Stahlbeton. Das Dorf ist reich.
Über tausend Männer sind vesammelt. Blütenweiße Beduinentücher, frisch gestutzte schwarze Bärte. Sternenhimmel.
“Im Namen Gottes, des Allgütigen” – mikrophonverstärkte Männerstimmen singen die Geschichte des Propheten. Eine lange Geschichte. Schon sieht der Champion ein wenig welk aus. Bald werden ihn der Onkel und der Brautvater zum Haus der Braut abführen. “Sie kommen !” werden dann die Frauen in gespieltem Schrecken ausrufen, die Schleier schnappen und im Handumdrehen wieder zweihundertundfünfzig schwarz verhängte steife Kegel sein. Und die beiden werden Ringe tauschen und sich dann zurückziehen und es tun und viele Kinder haben. Und sehr glücklich sein, versteht sich.
Da sind wir aber schon im Taxi, hundemüde, auf dem Heinweg. Im Autoradio die “Stimme Jerusalems”. Sendet aus Damaskus Richtung Palästina: “O geduldiges Volk, O Palästinenser / Die Revolution ist wie ein Sturmwind / der unsere Feinde hinwegfegen wird / Es sind die Steine des Landes unserer Vorfahren / die wir werfen / Unser ist der Sieg !”
Draußen, über dem Golan, geht die Sonne auf.