Freddy

Der Sän­ger auf dem Drahtseil

(SFB 1974) Ers­ter Auf­tritt des Autors in einem ARD-Fea­ture­pro­gramm.
Dau­er: 61:08 – MONO – Spre­cher: Chris­ti­an Brück­ner und Jür­gen Thormann

Mein ers­tes »wirk­li­ches« Fea­ture, weil für die Fea­ture-Redak­ti­on des Sen­der Frei­es Ber­lin pro­du­ziert. Eine Woche lang, wäh­rend sei­nes Gast­spiels mit dem Volks­stück »Mensch Kud­del, wach auf!« im Ham­bur­ger St.Pauli-Theater, bin ich der Schat­ten des Schla­ger­stars Fred­dy Quinn. Ich beob­ach­te den Sän­ger in der Gar­de­ro­be, in der Kulis­se und in dem engen Durch­gang zum Büh­nen­ein­gang, wo all­abend­lich die Fans mit Blu­men, Ted­dy­bä­ren und Auto­gramm­bü­chern Schlan­ge ste­hen. Und hin­ter­her mit Band­ge­rät, Mikro­phon und angst­ge­wei­te­ten Augen klam­me­re ich mich an den Bei­fah­rer­sitz in Quinns demons­tra­tiv beschei­de­nem VW, den er in hals­bre­che­ri­schem Tem­po durch das nächt­li­che Ham­burg zu mei­ner Unter­kunft steuert. 

Bei Fred­dy Quinn (Gast­spiel in Lübeck 1973)

Nach der See­mann-Peri­ode hat sich F. immer stär­ker an Auf­ga­ben gewagt, die sei­ne Mög­lich­kei­ten eigent­lich weit über­schrei­ten (Musi­cal, Ope­ret­te, Bän­kel­songs etc.) Die­ser Kampf gegen die Gren­zen der eige­nen Bega­bung, den F. von Zeit zu Zeit besteht, soll in der Sen­dung vom Stand­punkt des kri­ti­schen, an der Per­son F. inter­es­sier­ten Beob­ach­ters und gele­gent­li­chen Bewun­de­rers nach­ge­zeich­net und ana­ly­siert wer­den: Fred­dy als Pro­let des Schau­ge­schäfts, der die »deut­sche Arbeits­mo­ral« bis zum Tra­gi­ko­mi­schen in die Unter­hal­tungs­kunst ein­ge­bracht hat; Fred­dy als lite­ra­ri­sche Figur mit den Qua­li­tä­ten eines Comic-Hel­den, der vie­le Eigen­schaf­ten, Urtei­le, Vor­ur­tei­le und Wunsch­bil­der der Gesell­schaft reprä­sen­tiert, in der er lebt; Fred­dy als altern­der Schla­ger­star, der sei­ne Popu­la­ri­tät aus den fünf­zi­ger Jah­ren her­über­ge­ret­tet hat und immer här­ter kämp­fen muss, um kein leben­der Ana­chro­nis­mus zu werden (…) 

(Dem Gespräch mit mei­nem Redak­teur glück­li­cher­wei­se zum Opfer gefal­len:  »Eine aus­führ­li­che Selbst­dar­stel­lung des Sän­gers, die Ana­ly­se der Selbst­dar­stel­lung durch einen Psy­cho­ana­ly­ti­ker und die Kon­fron­ta­ti­on des Sän­gers mit die­ser Analyse«).

Kurz nach Beginn der Sen­dung ertönt mein ers­tes, noch jung­fräu­li­ches ICH

SPRECHER (IN DER ROLLE DES AUTORS) Doch nun zu mir. Ich bin der Autor die­ser Sen­dung. Ich möch­te, dass Sie ver­ste­hen, war­um ich das The­ma aus­ge­wählt habe; was mir der Mann auf dem Draht­seil bedeu­tet. Was Sie in die­ser Stun­de über ihn hören wer­den, ist auch eine Sen­dung über mich (…) 

Ich bin 33 Jah­re alt, ver­hei­ra­tet, kei­ne Kin­der. Nach dem Abitur habe ich ein paar Semes­ter stu­diert, dann bei ver­schie­de­nen Zei­tun­gen gear­bei­tet, vor allem in der Pro­vinz. Ich bin Frei­er Mit­ar­bei­ter, das heißt, ich habe kei­nen fes­ten Job, kein fes­tes Gehalt, kei­ne fes­te Arbeits­zeit. Ich kann mir mei­ne Arbeit aus­su­chen. Aber ich muss auch leben davon. Ich lebe von Ein­fäl­len, die ich ver­kau­fe – etwas ein­fach aus­ge­drückt. Bei die­ser Sen­dung ist das anders. Fred­dy ist mein Spe­zi­al­the­ma. Ich bin der größ­te Fred­dy-Fan weit und breit. Sie glau­ben das nicht? So geht es mir immer (…)

Folgt die »Ent­lar­vung« von Fred­dy Quinn als Pro­dukt der Unter­hal­tungs­in­dus­trie, als ihr Front­mann und Opfer, und eine Beschrei­bung des ein­träg­li­chen »Teu­fels­pakts«, der bei­de Sei­ten an ein­an­der fes­selt – jene glas­kla­ren Deu­tun­gen der Nach-68er Jah­re also, die kei­nen Wider­spruch erlauben. 

SPRECHER Nicht, dass wir uns falsch ver­ste­hen: Ich weiß natür­lich: Fred­dy ist auch ein Pro­dukt, ein Gebrauchs­ge­gen­stand. Das hat er mit Anbau­kü­chen und Deodo­rants gemein­sam. Ein Schla­ger­star ist ohne die Ver­viel­fäl­ti­gungs­in­dus­trie nicht denk­bar (…) Das Stück, das heu­te Abend gespielt wird, ist laut, pol­ternd, auf sat­te Wir­kung aus. Cle­ver ange­rühr­tes Weg­werf-Thea­ter. Ex und haha und hopp (…) 

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