über veränderte Bedingungen und Arbeitsweisen im erzählenden Radiofach.
3. Juni 2009
Liebe K.,
ich beeile mich mit dem Versuch einer Antwort, denn die Vorbereitung auf das „Oh!-Ton-Festival” in Potsdam macht wie gewöhnlich mehr Arbeit als vorausgesehen, und ich weiß nicht, was in den verbleibenden acht Tagen noch alles auf mich zukommt.
Dann also – auf zu den “Thesen”…
Zunächst mal hat sich die Arbeitsweise in den überschaubaren rund 38 Jahren gewaltig verändert. Ehe Radio und TV in meinem Berufsleben den Printjournalismus zu verdrängen begannen, schrieb ich neben der häufig nächtlichen Arbeit beim Berliner “ABEND” Theater‑, Konzert-und Filmkritiken für westdeutsche Zeitungen im “Kollektiv” mit zwei befreundeten Kulturberichterstattern. Die Artikel wurden mit einer Folien-Kurbelmaschine vervielfältigt und dann per Post an zehn oder zwölf Redaktionen verschickt.
Die ersten Features – eine Besonderheit des SFB-Jugendprogramms, wo ich anfing – waren noch live, hießen “Wir um Zwanzig” und liefen jeden Sonntag eine Stunde lang — monothematisch, dramaturgisch oft ganz pfiffig gestaltet, feste Crew vor und hinter den Mikrophonen und der Zeit entsprechend immer eine Gemeinschaftsarbeit von mindestens fünf Autor(inn)en.
Freischwimmen als radiophones Individuum konnte ich mich dann relativ rasch unter den Flügeln – allerdings auch längere Zeit im Flügelschatten – von Peter Leonhard Braun. Anders als in der vorangegangenen Gruppensituation war nun eine persönliche Handschrift erwünscht. Allerdings gab es noch so etwas wie einen durchgehenden Feature-Ton. Ich würde ihn rückblickend schon “auktorial” nennen: Der allwissende Autor, vertreten durch eine ebenso klingende Erzählstimme, sagte den Hörern, wie die Dinge in der Welt stehen – auf recht hohem Niveau, was allein schon durch die Person des Abteilungsleiters Braun garantiert war.
Die restlichen – sagen wir 30 – Jahre verbrachte ich z. T. damit, dieses programmliche Über-Ich in meinen Sendungen nach und nach zu töten und durch mein eigenes (eigentliches) Autoren-Ich zu ersetzen – zunächst noch in indirekter Form, sozusagen verkleidet in der Rolle eines Ich-Erzählers mit fremder Stimme. Erst als mir die gewisse Häme ausländischer Kollegen, den “German Narrator” betreffend, zunehmend auf die Nerven ging (regelmäßig bei Wettbewerben und Feature-Treffen wie der Internationalen Feature-Konferenz als mildes Schimpfwort benutzt), kam ich auf die Idee, es mal ohne Verkleidung zu versuchen – die Haltung des Erzähler-Ichs also nicht als Geste, zuweilen Pose, sondern deutlich subjektiv als eigene Sicht auf die Dinge, als Selbsterlebtes – mit allen Ambiguitäten, Unsicherheiten, unbeantworteten Fragen u. s. w. Tendenz also zu größerer Transparenz (unter welchen Umständen ist mein Gesamteindruck zustande gekommen, was / wer hat mich bei den Recherchen womöglich behindert, welche Rolle hat der Zufall gespielt etc.) Und eben auch hie und da die eigene Stimme.
Zu diesem Themenkomplex finden Sie einiges in den Texten auf meiner Homepage. 2007 führte ich mit Michael Lissek in der Berliner Akademie der Künste eine Art Streitgespräch dazu, und das groß geschriebene ICH (als Gegensatz zum meist verlogenen WIR, MAN oder ES – zur sog. “Objektivität” also) war auch Thema meiner Dankesrede nach der Verleihung des Eggebrecht-Preises 2008 in Leipzig.
Zurück zur Arbeitsweise:
“Freddy”, die erste Arbeit für eine Feature-Redaktion, war noch in Mono. Wir benutzten jahrelang das klobige UHER-Report-Aufnahmegerät oder die handwerklich so schön gemachte, aber noch schwerere Stereo-Nagra (mit entsprechen vielen Batterien wog die ganze Ausrüstung auf der Sibirienreise 1983/84 ungefähr 12 Kilo). Dazu gehörten gewöhnlich zwei Sennheiser-MD421N-Mikrophone in Stereo-Anordnung, auf einer sperrigen Metall-Traverse montiert oder im Schaumstoffmantel mit entsprechendem Kabel-Gebammel (ich hänge das Foto aus einem sibirischen Arbeiter-Club an – im Bild ein SONY-Kondensator-Stereomikrophon mit zwei getrennten Aufnahmekapseln in einem Korpus):
Die Tonband-Spulen mussten bei 19cm Geschwindigkeit pro Sekunde nach jeweils 20 Aufnahme-Minuten gewendet bzw. gewechselt werden.
Die Entwicklung zu immer kleineren Geräten und Elektret-Stereo-Mikrophonen (Sony Walkman Professional mit Analog-Cassetten, dann DAT, seit einiger Zeit Flash- Recordern) hat vor allem die Beweglichkeit erhöht, die Ausrüstung konnte – vom Aufstehen bis zum Schlafengehen – immer dabei sein. Ebenso große Veränderungen etwa ab 1980 im eigenen Berliner Studio: 15 Jahre arbeitete ich mit meiner Frau zusammen (5 Zuspiel- und eine Aufnahme-Maschine für Studio-Band); mit dem Wechsel zum Computer 1995 (Mac mit ProTools-Audio-System) hat sich unsere Zusammenarbeit natürlich verändert, für Heidrun mehr Richtung Recherche, Logistik und kritische Begleitung.
(…) Bevor ich etwas Manuskriptähnliches hervorbringe, schreibe ich abwechselnd mit Ton und Buchstaben, je nachdem, wie sich eine Sendung entwickelt.
Auch das ist ein großer Unterschied zu früheren Methoden — ein Privileg, das ich mir allerdings in den Redaktionen hartnäckig erkämpfen musste. Den meisten Autoren verlangt man immer noch ein “fertiges” Manuskript ab, das dann (wie lange noch ?) in die Hände eines Regisseurs, einer Regisseurin wandert und andernorts “realisiert” wird. Bei meiner komplexen und entsprechend langwierigen Arbeitsweise wäre das gar nicht mehr möglich. Um ehrlich zu sein: Ich brauche für meine Features von Jahr zu Jahr länger.
Schon immer hatte ich Spaß am Hin-Hören (mit Mikro und Kopfhörern) und an guten Aufnahmen. Allerdings habe ich anfangs an den 1:1‑Aufnahmen wenig verändert. Die Begegnung und dann häufige Zusammenarbeit mit Henning Christiansen, einem inzwischen leider verstorbenen Dänischen Komponisten mit Fluxus-Hintergrund, brachte mich peu à peu dazu, Aufnahmen zu bearbeiten, zu Mischen, die an Ort und Stelle vorgefundene akustische Wirklichkeit im Studio zu rekonstruieren (unter dem halb-ironische gemeinten Titel FIX IT IN THE MIX ein Bestandteil des Potsdamer Oh!-Ton-Programms).
Hinzu kamen Erfahrungen im Hörspielbereich, ausschließlich beim Hessischen Rundfunk, wo ich – gestützt von Hörspielchef Christoph Buggert und gemeinsam mit Heidrun – u. a. zwei 16-stündige Radio-Tage (“Ein Tag in Europa”, “Ein Tag in der Stadt”) gestalten durfte. Auch im Sound-Bereich ging es letzten Endes um die Abwägung zwischen geforderter Authentizität und subjektiver, “höherer” Wahrheit. Seitdem gibt es wohl kaum ein Soundscape in einem meiner Features – sofern es für das Ganze relevant und aussagekräftig ist -, das nicht aus Originalbestandteilen montiert und gemischt, eben rekonstruiert, wurde.
Im ganzen empfinde ich bei der Arbeit heute größere Freiheit (allerdings nicht weniger Verantwortung dem Gegenstand und den damit verbundenen Menschen gegenüber). Meine Haltung schon bei der Aufnahme, mehr noch im Studio, ist spielerischer geworden. Natürlich versuche ich nach wie vor, die gesamte Strecke – gewöhnlich 55 Minuten – dramaturgisch unter Kontrolle zu behalten. Zuhörer sind heute wahrscheinlich noch rascher zu langweilen als ehedem. Trotzdem finde ich, dass meine Stücke leichter geworden sind, offener, aber für Seiteneinsteiger so, dass diese den “Roten Faden” nach kurzer Zeit schnappen können.
Wie Sie gehört haben, spreche ich (bedingt auch durch meinen jetzigen Standort in der Radio-Diaspora) immer öfter selbst und empfinde es als gleichsam sportliche Herausforderung, einen Ton zu finden, der sich den O‑Tönen anschmiegt und relativ persönlich wirkt, ohne plaudertaschenhaft zu werden.
Obwohl .… So, wie ich ’s mir wünsche, wird das zu meinen Lebzeiten wohl nicht mehr gelingen.
Hier macht die Plaudertasche erst mal einen Punkt. Sehen wir einander vielleicht in Potsdam?
Herzlich grüßt Ihr
Helmut K.