Jugend auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs
NDR / RBB + MDR 2014 – Dauer: 54:37 – Sprecher: Felix Knopp und Studenten der Schauspielschule Hannover
PRESSETEXT:
Sommer 1914. Väter übergeben ihre Söhne an das Vater-Land zu treuen Händen. Und die kriegsberauschte Jugend singt, marschiert davon und lässt sich totschießen – vor Langemark in Belgien, bei Gallipoli in der Türkei, in der Schlacht bei Tannenberg (Ostpreußen), an der Drina. Die meisten dieser jungen Männer, kaum den Konfirmanden-Anzügen entwachsen, haben wenig Ähnlichkeit mit den “Stahlnaturen” und “Jongleuren des Todes”, wie sie der Weltkriegsdichter Ernst Jünger schwülstig ausgemalt hat. Viele dieser “jungen Helden” – die jüngsten “Freiwilligen” 14 Jahre alt – sind eher soldatisch verkleidete Schuljungen; frisches Blut für die Schlachtfelder, zum baldigen Verbrauch bestimmt.
Aufgewachsen mit dem martialischen Schwulst, für den die Jugend zu allen Zeiten so anfällig ist, glauben sie gern den großmäuligen Ersatzvätern aus Schule, Politik und Militär, die Blitzsiege versprechen, und bezahlen dafür mit dem Tod oder grausamer Verstümmelung. Die Hassturbine, die mögliche Freunde in Feinde verwandelt, rotiert im Sommer 1914 überall auf der Welt und auf ähnliche Weise.
Das Feature schildert – großteils im Originalton – den patriotischen Rausch der Augusttage 1914, den Schock des ersten Gefechts, die Ernüchterung, die Verrohung in vielen Monaten an der Front und das unheldische Ende einer verratenen Generation auf den Kriegsschauplätzen Europas.
Feinde auf Befehl
Die verratenen “Helden” des Ersten Weltkriegs
AUS DEM PROGRAMMHEFT DES RBB ZUM FEATURE “FEINDE WIE WIR”
Als ich 1946 zur Schule kam, war der Zweite Weltkrieg gerade beendet. Als einziger Sohn einer Kriegerwitwe blieb ich später vom Dienst in der neuen Bundeswehr befreit. Umso größer war die Neugier, ja Faszination des nie Erlebten. Ende der Siebziger Jahre, bei der Vorbereitung auf ein SFB-Radiofeature und ein “Kleines Fernsehspiel” des ZDF – beide unter dem Titel “In den Tod – Hurra !” – wühlte ich mich mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination durch Tagebücher, Regimentsgeschichten, Heeresberichte, die gedruckten Erinnerungen hoher Militärs und die handgeschriebenen von einfachen Soldaten. Das Ur-Desaster des 20. Jahrhunderts, der erste weltweite Krieg, tobte auf meinem Schreibtisch.
Veteranen der Materialschlachten lebten damals noch. Ich traf steinalte Männer mit tadelloser “Haltung” und ausgezeichnetem Gedächtnis. Sie beschrieben Höhepunkte ihres Lebens. Einem Überlebenden der ersten Flandernschlacht 1914 (er ist seit 30 Jahren tot) hatte der Krieg die linke Gesichtshälfte und einen Teil des Unterkiefers verwüstet.
Vor einem halben Jahr bin ich dem Mann beim Abhören alter Tonbänder aus den Achtziger Jahren wieder begegnet. Seine Stimme klang so unmittelbar, als säße er in diesem Augenblick vor meinem Mikrophon:
“Es ist mir durch einen Querschläger das linke Auge ‘rausgerissen worden, wobei das Jochbein zersplittert war. Ich nahm meinen Tornister vor und sagte mir: Ich komme ins Lazarett, und da muss ich wenigstens saubere Wäsche haben. Hab mir Unterwäsche ‘rausgesucht und über den Arm genommen und bin damit im wahrsten Sinne des Wortes aus der Linie getorkelt”.
Gänsehaut ! Der alte Mann mit dem halben Gesicht war zum Zeitpunkt seines Unglücks höchstens 18 Jahre. Viele machten sich älter damals, um den Krieg nicht zu verpassen. Ich las Berichte über vierzehnjährige “Kriegsfreiwillige”, militärisch verkleidete Schuljungen, schön und kraftstrotzend wie die rotbackig bemalten Zinnsoldaten, mit denen sie kurz zuvor noch gespielt hatten. Viele sollten niemals “richtige Männer” werden.
Ihre “Feinde”, die mir aus den Dokumenten und Interviews entgegen marschierten, waren ebenso jung: die “volunteers” der Massenarmee des britischen Kriegsministers Kitchener; die halb verhungerten serbischen Schuljungen, die gruppenweise Richtung Front pilgerten – tagelang, zu Fuß; die liebevoll “kleine Mehmets” genannten Rekruten aus fernen Ecken der Türkei; die russischen Bauernsöhne und die ahnungslosen Kolonialsoldaten aus Australien und Neuseeland, die England in die Blutorgie bei Gallipoli in der Türkei jagte.
Verratene “Helden”. Von ihnen erzählt dieses Feature. H. K.
➤MANUSKRIPTE > “In den Tod – Hurra!” / Enthält auch MS “Feinde wie wir”