Die Welt im Tunnel

RETINITIS PIGMENTOSA – Erfah­run­gen eines Augen­men­schen an der Gren­ze zur Fins­ter­nis. Über einen erblin­den­den Kame­ra­mann und guten Kol­le­gen – SFB / ORB und MDR (2000).

GEKÜRZTES MANUSKRIPT.


UNTERGRUND-BAHN, INNEN.

Autor  Der Anruf kam an einem Nach­mit­tag um Fünf.

Hier ist Hans !” — “Wel­cher Hans?”

Dann saß er vor mir — in der U‑Bahn von Königs­win­ter nach Bonn. 

Der Schnurr­bart, der immer leicht spöt­ti­sche Mund. Hans Gern, gewe­se­ner Kame­ra­mann. Augen­mensch. Pfunds­kerl. Einer, der von Leben strotzt. Wie vor 25 Jah­ren. Nur der lan­ge wei­ße Stock mit der Schlau­fe – der war neu. 

Mensch Hans !

Wir hat­ten Fil­me gemacht, für’s Jugend­fern­se­hen. “Jochen steigt aus”, und so. Ver­dammt lang her ! Dann war der Faden abge­ris­sen — wie das so geht…

U‑BAHNGERÄUSCHE: TÜREN GEHEN AUF UND ZU

Das mit sei­nen Augen fing vor 20 Jah­ren an. Er dreh­te damals in Spanien.

Hans  Das war ein Doku­men­tar­film mit dem Titel “Recon­quis­ta” – die Wie­der­erobe­rung Spa­ni­ens und die Ver­trei­bung der Mau­ren im 12. / 13. Jahr­hun­dert. Das war ein anstren­gen­der Tag in glei­ßen­der Son­ne. In Gra­na­da – da muss­te ich von einer son­nen­be­schie­ne­nen Situa­ti­on in einen Dom hin­ein, um den Licht­um­fang fest­zu­stel­len, den wir da drin­nen brauch­ten. Das gro­ße Kir­chen­por­tal schloß sich hin­ter mir, und ich stand wie ange­wur­zelt und sah über­haupt nix. Und mei­ne Kol­le­gen rie­fen: “Ja, wo bleibst Du denn — nun komm’ doch ?” Ich sag’: “Moment !” – weil sich das Bild lang­sam auf­zu­hel­len begann. 

Drau­ßen war eine knal­li­ge Son­ne, und der Platz war fast in wei­ßem Mar­mor. Das war so glei­ßend. Ich hab mir gesagt: Naja — du bist wie schnee­blind. Aber dann rück­wärts, als wir die Kir­che ver­lie­ßen und wie­der in die Son­ne gerie­ten, stand ich wie­der wie ange­wur­zelt. Weil — plötz­lich war das so weiß, daß ich wie­der nichts sah. 

Der Augen­arzt hat mich unter­sucht, und dann hat er gesagt: Ich hab da einen ganz dum­men Ver­dacht. Ich über­wei­se Sie mal in die Bon­ner Uni­ver­si­täts­kli­nik. Und nach eini­gem Hin und Her kam der Pro­fes­sor ganz fröh­lich mit der Crew und sagt: Ja, wir haben jetzt das Ergeb­nis. Also, wenn Sie Berufs­kraft­fah­rer sind oder Pilot – dann hab ich ’ne trau­ri­ge Mit­tei­lung für Sie: Die­se Beru­fe kön­nen Sie nicht mehr aus­üben dem­nächst. Sie haben eine Netz­haut­er­kran­kung, die heißt Ret­in­i­tis Pigmentosa.

Autor  … Eine Erb­krank­heit. Die Netz­haut wird all­mäh­lich zer­stört. Irrepa­ra­bal. Eine die­ser Gemein­hei­ten der Natur. Unbe­greif­lich für die Betrof­fe­nen – und bis heu­te auch für die Wis­sen­schaft. Ein Gen ist defekt. Zel­len ster­ben, aber der Zell­schrott wird nicht mehr abtrans­por­tiert. Er lagert sich, meist ring­för­mig, um das Zen­trum der Reti­na — der Netz­haut — ab. Ver­engt das Seh­feld. Immer mehr.

Man kann die­se Krank­heit beschrei­ben. Aber man kann sie nicht hei­len. 30 000 Deut­sche lei­den unter “RP”, welt­weit zwei bis drei Mil­lio­nen Menschen.

Hans  Da sag­te ich: “Ja — ich bin Kame­ra­mann”. Da wur­de er sehr ernst und mein­te: Es tut mir leid. Das ist ein pro­gres­si­ver Vor­gang, und Sie müs­sen sich schon dar­auf einstellen.

Ich war ja auf dem Höhe­punkt mei­ner Kar­rie­re und war ein äußerst enga­gier­ter Kame­ra­mann im dop­pel­ten Sinn des Wor­tes. Ich war schon als jun­ger Kame­ra­mann sehr schnell auf Welt­rei­se. Ich mach­te Doku­men­ta­tio­nen aus der Drit­ten Welt, aus Süd­ame­ri­ka, Expe­di­tio­nen zu den Eski­mos in Kana­da, dann wie­der nach Vene­zue­la, Orino­co, die  gan­ze Kari­bik bereist, Indo­ne­si­en … Ich hat­te eine Reputation ! 

Ich war top !

Autor  Wie hat­te ich ihn erwar­tet, nach die­sem Anruf  ? Die Stim­me klang fest und for­dernd wie frü­her. Aber ich miß­trau­te ihr. Ein Kame­ra­mann wird blind – ist das etwa kei­ne Kata­stro­phe ? Wenn wir dreh­ten – ich noch ein blu­ti­ger Anfän­ger damals – war Hans der Chef am Set. Er sah alles – den Schat­ten des Mikro­phons, die ver­ges­se­ne Kip­pe. Ihm ent­ging nichts. 

Dann tra­fen wir uns. Und Hans … war immer noch der Chef. Wie soll ich sagen … Er beherrsch­te ein­fach die Sze­ne ! Vom ers­ten Augen­blick an. A man can be des­troy­ed, but he can­not be defea­ted (Heming­way). Von sei­ner Krank­heit sprach er eher distan­ziert – wie der Arzt zum Patienten.

Hans  Stell Dir mal ein Fischer­netz vor. Jetzt blickst Du durch das Fischer­netz durch. Siehst Du das Schiff da hin­ten ? Ja. Jetzt stell’ Dir mal vor, jede vier­te, sechs­te oder ach­te Masche wäre ver­klebt – zu! 

Mit einer gela­ti­ne­ar­ti­gen Mas­se. Du kannst also nicht mehr durch’s gan­ze Netz durch­se­hen, son­dern nur noch par­ti­ell. Was siehst Du von dem Damp­fer ? Ja – jetzt seh ich nur das Heck und den Bug. Den Kamin siehst Du nicht ? Der Kamin ist hin­ter so einer ver­kleb­ten Netz­ma­sche. Aha – jetzt seh ich plötz­lich wie­der den Kamin. Der taucht jetzt auf, weil er eine Masche pas­siert, die jetzt frei ist… 

Die­ses Fischer­netz beglei­tet mich ja stän­dig. Wenn ich mich nach rechts wen­de oder nach links, habe ich ja über­all Fischer­netz. Ich trag’s ja mit mir ‘rum. Ich hab das Fischer­netz ja eigent­lich im Kopf. Ich hab’s ja in mir drin.

Autor  Der Prak­ti­ker wur­de Ver­wal­tungs­mann – zustän­dig für 70 Kame­ra­leu­te. Spä­ter Abtei­lungs­lei­ter im Haupt­stadt­stu­dio der ARD: Par­tei­ta­ge, Staats­be­su­che, Wahl­be­richt­erstat­tung, Bun­des­tags­de­bat­ten, der “Bericht aus Bonn”. Drei­zehn Jah­re mach­te er das. Drei­zehn Jah­re mit die­ser U‑Bahn zum Dienst.

U‑BAHN / DAS KLAPPEN DER TÜREN / STATIONSANSAGE

Hans … Zwei Sta­tio­nen vor­’m Aus­wär­ti­gen Amt … Hieß Heuß­al­lee, da mußt’ ich ‘raus immer…

Und als es dann immer schlim­mer wur­de – da kamen schon mal die eige­nen Ver­let­zun­gen. Also Stu­fe ver­paßt, Bür­ger­steig ver­paßt, mit dem Kopf gegen Türen gerannt, die halb auf waren. Nicht gese­hen. Ver­dammt noch mal ! — Ich hab dau­ernd Glä­ser umge­wor­fen, gan­ze Fla­schen von Rot­wein, Loka­le ver­saut, Tische versaut… 

Autor  Er lacht drü­ber. Abgehakt ! 

Hans  Pas­siert mir alles heu­te nicht mehr – toi, toi, toi ! Ich hat­te auch lan­ge kei­nen Unfall mehr, weil ich viel, viel vor­sich­ti­ger umgehe.

Autor  Kei­ne Schwä­che zei­gen, nie­mals weich wer­den. Ich bin ich! Lie­ber ein Witz und Schwamm drüber! 

U‑BAHN-STATION. HANS UND DER AUTOR VERLASSEN DEN WAGGON.

Hans …Du, da war ich mit einem Team in Wien … Da haben wir in Wien gedreht. Und der Regis­seur woll­te Film­auf­nah­men aus einem schö­nen alten Ver­stei­ge­rungs­haus in Wien haben …

Autor … Doro­the­um … 

Hans  Doro­the­um genau ! Und dann, wäh­rend die Ver­stei­ge­rung lief, sag­te ich zu dem Beleuch­ter: Also, ich stell mir das so vor: Hier links tust Du mir einen 2 KW hin mit Tüll. Und hier rechts, da tust Du mir einen 4 KW hin … Und in dem Moment sagt der Ver­stei­ge­rer: “Der Herr do hint’n – zum Drit­ten !”  Weil ich die Hand geho­ben hatte…

Und zum Drit­ten — der Herr do hint’n, bit­te mel­den … Der Herr do hint’n — zum Dritt’n!”  

Autor  Ein ver­wir­ren­des Wie­der­se­hen ! Ver­hält sich so ein Fast-Blin­der ? Steckt er das alles weg ? Ich begann ihn zu beob­ach­ten – den Freund und Kol­le­gen. Ich beob­ach­te­te Hans, wie er mir bei der Arbeit auf die Fin­ger sah. Es klingt viel­leicht salopp – aber Hans ließ mich nicht aus den Augen. Dop­pel­ter Pro­fi­blick. Er wuß­te ja, wie man eine Sen­dung macht. Unser Wie­der­se­hen war auch ein beruf­li­ches Expe­ri­ment. Hans trug den Rekor­der unauf­fäl­lig bei sich. Klei­nes Ansteck-Mikro­phon. Er führ­te mich durch die Stadt, die mir fremd war.

BAHNHOFSGERÄUSCHE / DER WEISSE STOCK / ANSCHWELLENDER STRASSENVERKEHR

Hans  … Die alte Uni ! Bonn ist sehr schön ! Alles Uni. Cle­mens-August – baye­ri­scher Her­zog. Wit­tels­ba­cher!

Na der steht gut hier, steht prima ! 

STOCKSCHLAG AUF AUTO-BLECH / STÄRKERE STRASSEN-GERÄUSCHE / AKUSTISCHE VERKEHRSAMPEL

Hans  Jetzt fixier ich halt das rote Männ­chen so lan­ge, bis es grün 

wird …

AKUSTISCHE VERKEHRSAMPEL (KÜRZERE INTERVALLE).

DAS KLACKEN DES WEISSEN STOCKS

Autor  Hans hat einen kräf­ti­gen Gang. Er ist Eins­neun­zig – ein Aus­ru­fe-zei­chen. Jeder Schritt eine Revol­te gegen die Krank­heit. Ich, mit dem eige­nen Ton­band­geb­am­mel, konn­te kaum folgen. 

Erst auf den zwei­ten Blick bemerk­te ich die Anspan­nung, sei­ne kon­zen­trier­te Unru­he, den Stress. Wie lan­ge er da stand und lausch­te – auf die Rich­tung des Ver­kehrs, auf die Stim­men der Pas­san­ten, die Echos ihrer Schritte! 

DER WEISSE STOCK / DIE GERÄUSCHE DER STADT / PRESSLUFTHAMMER, NÄHER KOMMEND 

Hans  Wir müs­sen woan­ders hin ! Muss mich nur ori­en­tie­ren …  Gut…o.k…

STIMMEN UND SCHRITTE / ATMO VERSCHWIMMTDRAUF:

In der Dun­kel­heit bin ich ja so gut wie blind. Auch wenn Stra­ßen­la-ter­nen bren­nen, die brin­gen ein­fach zu wenig Licht um uns die Kon­tras­te zu zei­gen – wo ist der Zaun, wo ist die Müll­ton­ne, wo ist der Bür­ger­steig zu Ende?

Die­se Kan­ten, die brau­chen wir, um sehen zu kön­nen. Ein tro­cke­ner Asphalt hat abends um halb neun Refle­xi­on. Wenn’s aber reg­net, ist er nicht mehr da. Und eine anthra­zit­far­be­ne Müll­ton­ne, die auf Gra­nit­plat­ten steht, die kannst du womög­lich in der Däm­me­rung noch sehen oder sie in ihren Kon­tu­ren erken­nen. Kaum hat’s ein biß­chen gereg­net, ist die Müll­ton­ne mit den Gra­nit­plat­ten eine Mas­se – siehs­te nicht mehr. 

Autor  Du schreibst mir auch Brie­fe, wie geht das?

Hans  Ja… ers­tens mal kann ich ohne Lini­en auf dem Papier nicht mehr gera­de schrei­ben. Ich fol­ge jetzt Wort für Wort eigent­lich nur noch mei­nem Zei­ge­fin­ger und dem Dau­men, der den Fül­ler hält. Nur noch die­se klei­ne Par­tie, wo ich mei­ne Buch­sta­ben set­ze, die hal­te ich im Auge. Das ist ein stän­di­ger Schwenk. Es ist auch beim Lesen ein stän­di­ger Schwenk. Dann muss die Tin­te schwarz sein, weil ich hohe

Kon­tras­te brauch’.

Autor   “So han­gelt sich Dein Kame­ra­mann an den Lini­en ent­lang”, schrieb mir Hans in sei­ner gro­ßen schwar­zen Schrift. “Die Gesichts­feld-Aus­fäl­le sind schon zu hef­tig. Nicht mehr im Spie­gel, son­dern bei län­ge­rer Betrach­tung eines Fotos stel­le ich fest, wie mein Alte­rungs­pro­zess ver­läuft. Kein flüch­ti­ger Blick mehr. Tem­pi pas­sa­ti. Man muss Trost-Stra­te­gien ent­wi­ckeln. Ich beob­ach­te zum Bei­spiel, wie ande­re Sin­ne den fort­schrei­ten­den Ver­lust mei­nes Seh-Sinns kom­pen­sie­ren. So bin ich in den letz­ten Jah­ren vom Seh- zum Hör­men­schen gewor­den. Bin ja ohne Fern­se­hen auf­ge­wach­sen. Die gro­ßen Sport­re­por­ta­gen, die span­nen­den Kri­mis kamen aus dem Radio, und ich bin dem Radio treu geblie­ben. Du weißt ja: Die Bil­der im Kopf…” 

Und dann zitier­te er noch den blin­den Jazz­mu­si­ker Ray Charles: “I don’t want to see all that shit on earth”.

RAY CHARLES / ATMO WIEDER PRÄSENT / DER WEISSE STOCK / STRASSEN-MUSIK

Hans  Im Som­mer brei­ten die dann hier ’n Tep­pich aus auf der Erde und legen dann hier ihre Waren aus, und da muss ich unheim­lich auf­pas­sen. Ich bin einem Schwarz­afri­ka­ner voll in den Laden ‘rein­ge­lau­fen. Der hat­te dort Leder- und Sil­ber­wa­ren aus­ge­legt – auf der Erde, auf einem gro­ßen Tuch und saß dort auch. Und ich damals noch ohne Stock.

Und dann kam er mit dem Reiz­wort “Ras­sist” … Ganz plötz­lich nah­men da eini­ge Pas­san­ten Hal­tung gegen mich ein. “Hör’ mal – watt is, watt is — watt häst Du dem Mann gedonn ?” Dass ich kurz davor stand eine gewal­ti­ge Ohr­fei­ge einzufangen.

MARKT-AUSRUFER IM HINTERGRUND

Ich hab gesagt: “Ich seh schlecht !” — “Kann jeder sagen ! Kauf Dir doch ’ne Bril­le, Du Arsch­loch !” Und  – weißt Du –  mit dem Zeigen 

der Behin­de­rung durch den Stock kann mir das nicht mehr passieren. 

Man muss es nur akzeptieren.

DIE ATMO VERSCHWIMMT / DARAUF:

Hans  Wenn Du Dich unge­schickt benimmst, kriegst Du von der Öffent­lich­keit Druck, weil die Öffent­lich­keit ja nicht lesen kann, was mit dir los ist. Und da hab ich mir einen wei­ßen Stock aus­ge­sucht. Und es war eine ganz inter­es­san­te Situa­ti­on in mei­nem Leben. Man ist natür­lich so auf­ge­wühlt. Aber man kann nicht sein Leben lang auf­ge­wühlt sein, das liegt mir auch gar nicht. 

Ich hab das Sani­täts­haus ver­las­sen, und ab sofort kam ich mir vor wie jemand, der die Wel­len des Roten Mee­res teilt. Der Pas­san­ten­strom teil­te sich wie von magi­scher Hand, weil ich die­sen Stock vor mir hertrug.

Die Müt­ter zie­hen plötz­lich die Kin­der bei­sei­te, Hun­de wer­den bei­sei­te genom­men, hilf­rei­che Leu­te neh­men einen am Arm: “Ach­tung, da steht ’ne Lei­ter !” — “Ja, dan­ke ! Hab’ ich gesehn!”

Der wei­ße Stock war wie eine Wun­der­ker­ze, die ich vor mir hertrug. 

ATMO GANZ WEG 

(…)

Karin  Ich lern­te ihn ken­nen auf einem Kar­ne­vals­ball. Da war ich Sieb­zehn. Genau der Mann, den ich mir vor­ge­stellt hat­te … wo ich also auch sehr ver­liebt war. Er mach­te damals schon Musik, was mir auch sehr gefiel.

Der Umstand, daß mit sei­nen Augen etwas nicht stimm­te, ist rela­tiv früh ein­ge­tre­ten. Das ers­te Mal, wo er ganz spon­tan etwas gesagt hat, das war in einem Feri­en­ur­laub in Spa­ni­en. Von einer Unter­neh­mung sind wir nachts nach Hau­se gekom­men, und ich war voll­kom­men begeis­tert von dem traum­haf­ten Ster­nen­him­mel. Und er wur­de immer stil­ler und immer ruhi­ger und hat gesagt: “Ich seh’ kei­ne Sterne”.

Und dann sind wir in die Kli­nik gefah­ren. Und die Dia­gno­se war eindeutig.

Der Han­si war für mich ein ganz star­ker Mensch und Mann. 

Und lang­sam wur­de das weni­ger und hör­te auf. Das war für mich eine ganz neue Rol­le, die ich über­nom­men hab’, weil … Es war für mich selbst­ver­ständ­lich, daß ich ihm half. Aber trotz­dem habe ich mich manch­mal gefragt: Mein Gott – hof­fent­lich ver­än­dert sich unser Ver­hält­nis nicht ! 

Hans  Es gab irgend­wann mal einen Abend, wo es sehr spät gewor­den war. Karin sag­te: “Weißt Du was – ich hol’ Dich !” Es war unten stock­fins­ter und es reg­ne­te leicht. Und ich ver­ließ die­ses Büro­ge­bäu­de und ging in Rich­tung Stra­ße, wo sie vor­fah­ren wür­de. Und da stand sie schon da. Und der Schein­wer­fer war so auf mich gerich­tet. Ich lief also auf das Auto zu, wie ein Schau­spie­ler, der im Ram­pen­licht die Trep­pe run­ter­läuft. Ich kam mir so krüp­pel­haft vor. Und hin­ter dem Steu­er saß mei­ne Frau, und der Schein­wer­fer leuch­te­te mich an, und ich war so gefan­gen wie ein Hase auf der Land­stra­ße, der nicht in der Lage ist, den Kegel des Autos, der ihn erfaßt hat, zu ver­las­sen. Und da wuss­te ich zum ers­ten Mal, daß ich behin­dert bin.

Eigent­lich habe ich auch das ers­te Mal ein Gefühl von Scham emp­fun­den, von tota­ler Nie­der­ge­schla­gen­heit, weil ich ein­fach auch dem gelieb­tes­ten Men­schen gegen­über, den ich habe, so hilf­los war.

Ich kann­te mei­ne Rol­le als Mann: Vater, Vater mei­ner Kin­der, “mein Mann”, ein Meter 90 lang, ein mords Trumm Typ, welt­erfah­ren, weit­ge­reist immer nur strah­lend, immer Sie­ger­typ – beruf­li­cher Sie­ger, pri­vat Sie­ger, musi­ka­lisch Sie­ger, renom­mier­ter Drum­mer — die­ses gan­ze Kon­glo­me­rat von Mann ist in die­sem Augen­blick zerbrochen.

Ich war total erschüttert.

Karin  Ich hab das nicht so emp­fun­den wie er. Ich hab nur Angst gekriegt. Ich hab plötz­lich ganz gro­ße Angst gekriegt und gedacht: Um Got­tes Wil­len – war­um geht er nicht mit dem Stock hin und her und tas­tet rechts und links ab. Ich hab kein Mit­leid emp­fun­den, nicht das Mit­leid, das man emp­fin­det, wenn man eine hilf­lo­se Per­son sieht. Aber dann hab ich mir gesagt: Er muss es schaf­fen ! Wenn er es will, dann schafft er das auch ! Ja, er wird es schaf­fen ! Wir hof­fen bei­de, daß er nicht ganz blind wird.

Wir haben uns auch Rei­sen vor­ge­nom­men. Ich sag dann immer: 

Wir müs­sen uns beei­len, solang’ Du wirk­lich noch was mitbekommst”. 

Und dann gibt’s auch Stun­den, da ist er zutiefst depri­miert und sagt: 

Ja — vor­ge­nom­men haben wir uns das …

Hans  Die­se Ver­füg­bar­keit von Karin – dass man ein Ehe­paar, wo einer 

behin­dert ist, auto­ma­tisch immer als Zwil­ling sieht ! Automatisch! 

Da stram­peln wir bei­de gegen an ! Ich will die Karin nicht ver­ein-nah­men, und die Karin will sich mir nicht total aus­lie­fern, nur weil wir mit ein­an­der ver­hei­ra­tet sind. Zusam­men zu wach­sen wie sia­me­si­sche Zwil­lin­ge, auch kör­per­lich untrenn­bar – das ist für uns ein­fach kein Zustand ! Weil die­ser Zustand irgend­wann sein natür­li­ches Ende hat. Und was dann ein­tritt, wenn du den sia­me­si­schen Zwil­ling ver­lierst, ist viel schlim­mer, als wenn du es geschafft hast, die letz­ten Jah­re dei­nes Lebens zumin­dest noch ’ne klei­ne Selb­stän­dig­keit zu behalten. 

Irgend­wann sitzt die Karin da und sagt: “Sag mal – Dei­ne Fin­ger­nä­gel sehen ja unmög­lich aus !” Ich sag: “Ja, ich hab da Pro­ble­me. Ich kann das nicht mehr so rich­tig, aber …” – Sagt die Karin ganz beherzt: “Komm’, ich mach Dir das ! … Ich mach Dir das !” – Immer mehr! 

Der Mann ist depri­miert und sagt: “Ja, weißt Du — wenn wir eines Tages umzie­hen in die neue Woh­nung — ob ich hier noch­mal ’ne Lam­pe abklem­men kann?”

Karin  Für ihn ’n Alptraum !

Ein Gast  Kein Pro­blem — mach’ ich Dir !

Hans  Lie­ber ! Ich sag’ das nur bei­spiel­haft, was da zwi­schen dem alten Ehe­paar läuft!

Karin  Ich könn­te ja auch sagen: “Ich mag das nicht – Dei­ne Fin­ger­nä­gel … Mani­kü­re machen…”

Hans …Oder die Fuß­nä­gel machen !

Karin  Die mach’ ich Dir nicht und die würd’ ich Dir nie machen, weil ich ein­fach der Mei­nung bin, dass Du ohne wei­te­res zu einem Fuß­pfle­ger gehen kannst ! Es wird viel­leicht eines Tages so weit kommen. 

Eigent­lich müß­te ich ja an so einer Situa­ti­on und Auf­ga­be wachsen. 

Soll­te man annehmen…

Freun­din  Du wirst nicht jün­ger… Ich weiß auch nicht, ob ich irgend­wo ruhig sit­zen könn­te, und mein Mann ist allein in der Stadt unter­wegs – die Angst, dass gleich das Tele­fo­nat kommt, und der ist gestürzt oder unters Auto gekommen…

Karin  Da hab’ ich ganz gro­ßes Ver­trau­en zu ihm !

Freun­din  Weil Du ihn bes­ser kennst. Ob ich die Ner­ven hätte?

Hans  Ich bin ja kein Trot­tel, der in sein Unheil rennt!

Freun­din  Es wäre im Grund viel leich­ter, wenn Du über­haupt nichts sehen wür­dest … Dann wüss­te man’s!

Hans  Ja !

EINGANG ZUM KAUFHOF / FLIEGENDER HÄNDLER: “Hier dür­fen Sie sich die schöns­ten und vor­mals teu­ers­ten Schmuck­tei­le selbst aussuchen …”

Hans  So ’n Kauf­haus ist schon ’ne Sache der drit­ten Art ! -

Da seh’ ich schon ne graue Mas­se, die sich auf­wärts bewegt.

Jetzt geh ich ein­fach nach der Logik, dass das so wei­ter­ge­hen muss…

ROLLTREPPE 

Lass mich mal … Muss sehen, wie das hier geht… 

Autor  Hans mean­der­te zwi­schen den Rega­len – Glas, Por­zel­lan. Geriet in Sack­gas­sen. Fand wie­der her­aus. Stand und lausch­te. Leg­te wie­der einen Schritt zu. Vor ihm teil­te sich der Käuferstrom. 

Hans  Da hör ich was  … Aha … JVC … aha … Nee, Du sollst mir kee­ne Tips geben! 

Autor Ich ließ ihn gehen.

Hans  Habt Ihr Ton­band­cas­set­ten hier irgendwo?

Ver­käu­fe­rin Ganz nach hin­ten ! Gra­de­aus durch und dann links!

Ganz durch ! Soll ich Sie eben rüberbringen?

Hans  Wie wär’ das ?

Ver­käu­fe­rin  Sie hal­ten sich bei mir …

Hans  Ich bin bei Ihnen, sie sind bei mir ! (VERKÄUFERIN LACHT)

Ver­käu­fe­rin  Dann kom­men Sie ein­mal mit mir links … Und dann werd’ ich Sie gleich zu dem betref­fen­den Herrn füh­ren … So ! Und da sind zwei Her­ren, die Ihnen hel­fen können!

Hans  Jetzt muss ich fest­stel­len, in wel­cher Rei­hen­fol­ge man sich an-stellt … Sind Sie das Ende der Schlan­ge ? — Aha, gut! 

DURCHSAGEN / KASSENGERÄUSCH

Die sind alle unheim­lich nett, die Leu­te ! Schön’ guten Tag ! Bin ich 

dran ? Ne Quit­tung krieg ich ? Das wär sehr lieb von Ihnen ! 

Herz­li­chen Dank, schö­nen Tag noch !

Autor  Jetzt könn­ten wir uns eigent­lich einen Kaf­fee gönnen!

Hans  Ja … Lass mich mal über­le­gen, wo …

AUSSEN-ATMO / DER WEISSE STOCK

Hans… Jetzt hör’ ich Tas­sen klappern …

Dann gehn wir da mal rein … Tschul­di­gung !  So … Jetzt steh ich total auf dem Schlauch. Das sind erst mal gro­ße Adap­ti­ons­schwie­rig­kei­ten von drau­ßen, vom Hel­len ins Dunk­le rein. 

STEHCAFÈ  

Hans  Ich möch­te zwei Tas­sen Kaf­fee haben, bei­de mit etwas Milch drin. 

Bedie­nung  Geschäum­te Milch oder normale ?

Hans  Nor­ma­le.

Bedie­nung  5 Mark und 60.

Hans  Ent­schul­di­gung ! Ach­tung ! Seh’ schlecht !

Bedie­nung  Sie krie­gen noch Geld zurück !

Hans  Ja, weiß ich …

Ist natür­lich auch viel logi­sches Den­ken dabei. Wie im Kauf­haus: Du siehst die Kas­se – ich hör’ sie. Du siehst die Abtei­lung – ich hör’ sie. Eine Fein­kost­ab­tei­lung riech’ ich – das riecht nach Käse und Fisch und Früch­ten … Und wenn Du im Regal 100, 200 Jeans hast, dann rie­chen die ! Die brauch’ ich gar nicht zu sehen!

DAS STEHCAFÉ

Wir müss­ten noch an einen Bank­au­to­ma­ten. Ich muß ein biß­chen Geld zie­hen. Abmarsch !

ATMO WEG

Da lernt man also unheim­lich vie­le Din­ge. Und man fragt sich auch: 

Ist das Sehen so wich­tig ? Oder was wärst du lie­ber — blind oder taub? 

Das sind Din­ge, die man sich stän­dig fragt. Ich hab’ Antworten! 

Weißt Du, was das heißt, kei­ne Musik mehr zu hören, kei­nen Vogel ? Da scheiß’ ich auf’s Sehen, das sag’ ich Dir ganz ehr­lich ! Würd’ ich nie mein Gehör ‘für her­ge­ben. Nie!

Der Seh­sinn ist eigent­lich ganz ober­fläch­lich. Weil – das was du siehst, geht ja nicht in die Tie­fe des Gegen­stands ‘rein. Wenn ich einen Men­schen sehe, der ’ne Gei­ge am Kinn hat – was seh’ ich da ? Eine Gei­ge ! Ich kann doch mit den Augen gar nicht erfah­ren, zu was so ein Instru­ment fähig ist!

Schau­fens­ter, wofür sind die denn da ? Ich brauch die gar nicht, wie ich mer­ke. Mir fehlt kein Schau­fens­ter. Und das ist toll, die Erfah­rung die ich jetzt mache in den letz­ten Jah­ren – bei fort­schrei­ten­der Seh­be­hin­de­rung las­sen mei­ne Begier­den nach. Ich kauf viel weni­ger als frü­her. Eigent­lich kann man sagen, ich leb’ spar­sa­mer als frü­her. Mei­ne Gelüs­te wer­den gar nicht geweckt. Ich hab mir ewig kein Stück Kuchen mehr gekauft. Frü­her war ich dau­ernd ver­führt durch Mar­zi­pan­schwein­chen in den Schau­fens­tern… Ich muss­te mir Mar­zi­pan kaufen! 

Weißt Du, wenn ich sage: “Ich habe vie­len Din­gen kein Gehör geschenkt” – das ist so ein tol­ler Aus­druck, den muss man erst mal unter­su­chen ! “Ich schen­ke der Amsel mein Gehör” – von dem Aus­druck muss ich mich ver­ab­schie­den. Denn ich bin dank­bar, daß sie mir den Früh­ling ankün­digt. Die Amsel sagt mir: Jun­ge – hab’ noch ein bißchen 

Geduld, in drei Wochen haben wir das Schlimms­te hin­ter uns. Dann haben wir den Frühling! 

Das klingt fata­lis­tisch — aber ich geb’ dem Seh­sinn gar nicht mehr die Bedeu­tung, die er mal für mich hat­te. Die hat­te er beruf­lich für mich. Er hat sie in gewis­ser Bezie­hung natür­lich auch heu­te noch für mich. Und Bezie­hun­gen, die ich glü­hend ver­mis­se, das sind Din­ge, die nichts mit’m Mar­zi­pan­schwein­chen zu tun haben, mit’m Roll­mops. Das hat mit dem Kon­takt — mit dem Blick­kon­takt mit ande­ren Men­schen zu tun, der nicht mehr statt­fin­det. Und das ver­miss’ ich unheimlich. 

Weil – wir Men­schen agie­ren nicht nur über die Spra­che, son­dern wir beglei­ten das, was wir ver­bal äußern auch mit Mimik und den Augen. Und das muss man lesen kön­nen. So wie man ein Buch liest, muss man sein Gegen­über lesen kön­nen. Auch Frau­en … Klar, das fehlt einem ! Das ist das Schöns­te was es gibt auch zwi­schen den Geschlech­tern: der Blickkontakt.

Muse­ums­be­su­che – tota­le Kata­stro­phe! Hab ich alles  hin­ter mich gebracht. Hab’ ich auf­ge­ge­ben. Vor ein paar Jah­ren war ich in der letz­ten Bil­der­aus­stel­lung, vor zehn Jah­ren war ich zum letz­ten Mal im Kino – eine Kata­stro­phe! In sol­chen Situa­tio­nen ist man schon rich­tig ver­zwei­felt. Also da merkt man schon: Da ist ja nix mehr ! Das ist ja kein Genuss mehr! Das ist dann eine Quä­le­rei! Ich mach’s nicht mehr! Will nicht mehr!

            (…)

STADTGERÄUSCHE

Hans  Irgend­wo sprin­gen jun­ge Leu­te auf Skate­boards rum. 

Haben ’n schö­nen Tag heu­te erwischt ! 

So, jetzt machen wir einen klei­nen Spaziergang !

Autor  Sein Leben bestand aus Bil­dern — Tota­len, Halb­to­ta­len, Nah­auf­nah­men. Hans war Augen­zeu­ge von Beruf. Vie­le Bil­der, die wir so ihm Kopf haben – er hat sie gedreht: Mos­kau in den frü­hen Sech­zi­gern, Ceau­ses­cu in sei­nem Palast, Ulri­ke Meyf­arts Fos­bu­ry-Flopp, die ver­mumm­ten PLO-Ter­ro­ris­ten Mün­schen 1972, Mit­te­rand auf dem roten Tep­pich in Köln-Wahn.

Und nun die­ser täg­li­che Kampf – tap­fer und banal zugleich: das Glas nicht umschüt­ten, die Kar­tof­feln auf dem Tel­ler fin­den. Eigent­lich mehr, als einer ertra­gen kann ! 

(…)

QUERVERKEHR

Hans  Ja, jetzt hab’ ich mich doch ver­lau­fen ! Ah, das ist eben das Blö­de – es geht einem ein­fach immer mehr Ori­en­tie­rung verloren! 

SCHRITTE / DER WEISSE STOCK / VERKEHR

(…)

SPRECHENDER KOMPASS

West … West … Nord­west … Nord­west … Nordwest …

Süd­ost … Süd­ost … Süd … Süd … Süd …

Sou­the­ast … Sou­thwest … North … North … North …

WECKER MIT ZEITANSAGE / COMPUTER-STIMME:

” … Das japa­ni­sche Inter­net-Unter­neh­men … mach­te zuletzt einen guten Schnitt … Der­zeit explo­die­ren die … Anfang Janu­ar an der Bör­se noch mit … muß man heu­te bereits … 1260 Euro für das Papier … Soft­bank gilt als Syn­onym … Der GUS-Auto­han­del wird eben­falls als Gemein­schafts­pro­jekt … mit Part­nern wie Micro­soft und…”

           (…)


Autor  Wir sind dann nach Ham­burg gefah­ren, mein Freund Hans und ich. Mobi­li­täts­trai­ning für Seh­be­hin­der­te. Vier­zehn Tage lang Eimer fül­len, Fens­ter put­zen, Ker­ze anzün­den und Bett bezie­hen, Geschirr abtrock­nen, Fin­ger­nä­gel schnei­den, Trep­pen-stei­gen, Gän­ge durch die frem­de Stadt.…

Trai­ne­rin  … Ja, ich hab Kassler-Aufschnitt …

Hel­mut  …Such’ ich das erst­mal ! Prak­tisch immer abgrei­fen, ob Platz da ist !

Autor  Die Spei­sen fin­den auf dem vor­ge­stell­ten Zif­fer­blatt … Essen als Suchspiel.

Trai­ne­rin  Okay – geht bei zwölf Uhr ! Kannst aber auch bei neun Uhr hin­stel­len, ja…!

BESTECK-GERÄUSCH / HELMUT SEUFZT

Hel­mut   Dann würd’ ich ein­fach mal ver­su­chen hier ein­zu­piecken und dann schnell ‘rüber auf den Tel­ler … Das würd’ ich jetzt mehr auf neun Uhr legen … Würd’ ich jetzt die Kar­tof­feln zwi­schen sechs und neun machen oder zwi­schen sechs und zehn in dem Bereich, und von zehn bis eins würd’ ich mir dann das Gemü­se hinlegen… 

(…)

AUFGERÄUMTE FEIERABEND-STIMMUNG  

Autor  Vor dem­Se­mi­nar­raum sah es aus wie im Wind­fang einer Ski­hüt­te: wei­ße Lang­stö­cke in allen Grö­ßen – rotie­rend auf­ge­häng­te Kugeln an der Spit­ze oder fla­che Tel­ler. Leicht­me­tall, Fieberglas. 

Ein Trainingslager.Wir waren acht. Petra die Jüngs­te Anfang Drei­ßig. Jochen, der Ältes­te, ging auf die 65 zu. Sie alle sahen nur noch Split­ter, Fli­cken. Win­zi­ge Aus­schnit­te, weit hin­ten am Ende ihres Tun­nels. Die Welt durch den Stroh­halm betrach­tet, durch ein Fischer­netz. Man­che wür­den bald ganz blind sein. 

TRAININGS-ZENTRUM

Autor  …die Schlau­fe um die Hand?

Trai­ne­rin  Nein, auf kei­nen Fall!

Autor Am vor­letz­ten Abend ein Selbst­ver­such. Wei­ßer Stock, 

Simu­la­ti­ons­bril­le auf ! Schwarz – nur ein win­zi­ges Loch in der Mitte. 

Sehen, was Hans viel­leicht noch sieht. Eine Annäherung. 

Trai­ne­rin  Kei­ne has­ti­gen Bewe­gun­gen… Erst mal orientieren. 

Autor  Hans, bist Du das?  

Hans  Ja, ich geh heut’ auf die Rei­se ! 

Autor  Komm’ heil zurück ! 

Hans  Ja klar!

Trai­ne­rin  So … Jetzt gehn wir ein­fach mal nach draußen !

TÜR WIRD GESCHLOSSEN /AUSSENATMO                         

Autor  … Sehen kann ich jetzt gar nichts mehr ! …

Der fes­te Boden – weit unten — dreht sich weg beim Gehen.

Bin ich zu has­tig mit dem Stock? … 

DER WEISSE STOCK

Trai­ne­rin  Vor­sicht ! Immer nach vor­ne ori­en­tie­ren ! Kei­ne has­ti­gen Bewegungen!

Autor  … Ich kann mich an den Pfüt­zen orientieren …

Die Pupil­len hin­ter die­ser blö­den Bril­le suchen Halt. Tan­zen. Tor­keln. Nur ein paar Licht­re­fle­xe. Regen klatscht von den Bäu­men. Der unsicht­ba­re Weg ist glit­schig. Ilse, die Trai­ne­rin, immer ein paar Schrit­te hin­ter mir. 

Trai­ne­rin  Immer­zu den Stock schwen­ken! … Den Stock mehr nach links, nicht so breit!

Autor  Und immer unten am Boden … Ist da Was­ser? Sch.…

Trai­ne­rin  … Klei­ner Pool !  Nu denk’ ich, gehst du so wei­ter, bis der Weg zu Ende…

Autor  Vor­ne seh’ ich ein Licht. Und die­ses Licht ist am Ende des Fuß­wegs ? Oder kommt etwas dazwischen? 

Jetzt bin ich fast an der Straße! 

So — jetzt wird ’s gefährlich!

Wo ist die Stra­ße? Wo ist der Bür­ger­steig zu Ende? 

Ah, jetzt seh’ ich was … Eine klei­ne reflek­tie­ren­de Kan­te. Hier fängt die Stra­ße an … ?

Trai­ne­rin  … Immer horchen!

Autor  Oh, oh, oh …

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