Die Grenzgänger

Log­buch einer Not­ret­tungs­sta­ti­on.

Sen­der Frei­es Ber­lin mit ORB und HR (2001).

GEKÜRZTE MANUSKRIPTFASSUNG


Spre­cher  Er frag­te: Kannst Du Blut sehen ? Men­schen­blut ! Kein Ket­chup wie im Fernsehen. 

Na dann !

IM NOTARTZWAGEN / SCHNELLE FAHRT AUF DER LANDSTRASSE / SONDERSIGNAL / FUNKSPRECHVERKEHR

Spre­cher  Sonn­tag, 15 Uhr. Mit 160 auf der Land­stra­ße, die in die Ber­ge führt. Son­ne, Stra­ße tro­cken. 28 Grad.

Lan­ge Auto­schlan­gen. Cabri­os mit offe­nem Ver­deck. Motor­rad­fah­rer – ein­zeln und in dich­ten Pulks. Schre­cken auf und rucken an den Straßenrand.

Könn­te auch ein Film sein.

MARTINSHORN / FUNKSPRECHVERKEHR

ANKUNFT AM UNFALLORT / GERÄUSCH DER NOTBEATMUNG 

Stim­men  Er kriegt kei­ne Luft … Machen Sie mal die Augen auf… 

Du kriegst jetzt gehol­fen … Wir hel­fen Dir jetzt!

Spre­cher Da liegt er auf der Fahr­bahn. Leb­los. In einer Lache Benzin. 

Star­ker jun­ger Mann, schwar­zes Leder, Totenkopfabzeichen. 

Das eine Bein gro­tesk im rech­ten Win­kel abge­knickt. Dane­ben, was von dem Motor­rad – einer 600er Duca­ti “Mons­ter” – übrig blieb. 

Da ist auch eine Men­ge Blut. 

Mann (ZWEITES UNFALLOPFER)  Bin ich mit dem z’sammegefahre? 

Spre­cher  Der ande­re. Ein alter Mann, blu­tend und ver­stört, in den Trüm­mern sei­nes VW Polo. Woll­te abbie­gen, nach links. Hat die Maschi­ne über­se­hen. Die kam wie ein Geschoss.

Jetzt wird das teue­re schwar­ze Leder­zeug has­tig aufgeschnitten. 

Män­ner von der Feu­er­wehr span­nen Decken gegen Gaffer.

Stim­men  Hebt an … O. k !

ABSCHLEPPWAGEN / KULISSE WEG 

Spre­cher  “Kannst Du Blut sehen ?” hat­te er gefragt.Men­schen­blut ?” Mein Nach­bar Joa­chim ist Not­arzt durch-und-durch. Neun Jah­re Klinikum. 

Dr. Joa­chim Eitel  Daß ich über­haupt Medi­zin stu­diert hab, liegt an der Not­fall­me­di­zin. Als Zivil­dienst­leis­ten­der war ich Sani­tä­ter beim Roten Kreuz in Ulm, mei­ner Heimatstadt. 

Das seh ich noch wie heu­te vor mir — bei einem Not­arzt­ein­satz: Da ist ein klei­nes Kind vom Auto ange­fah­ren wor­den. Und da stand ’ne Trau­be von Leu­ten um das Kind rum, und die haben getan was sie konn­ten für das Kind. Haben das Kind auf ’ne Decke gelegt. Das Kind hat noch sel­ber geat­met, hat­te so ’ne schwe­re Impres­si­ons-Frak­tur am Schä­del, so ’ne Beu­le an der Seite…

Was mich halt so beein­druckt hat: daß der Not­arzt, auch Anäs­the­sist, über 

die Fähig­keit ver­fügt, jetzt für das Kind das Rich­ti­ge zu tun. Damit das Kind                                  ’ne Chan­ce hat. Das war ein blei­ben­des Erleb­nis für mich. 

Spre­cher  Er hat­te mich auf die Idee gebracht: Eine Woche Not­arzt­wa­gen –  als Beob­ach­ter. Als vier­ter Mann mit stän­dig wech­seln­den Kol­le­gen und Kolleginnen. 

Hier fah­ren nur Nar­ko­se­ärz­te auf dem NAW, dem Not­arzt­wa­gen – ein­mal, auch zwei­mal pro Woche. An den ande­ren Tagen sind sie “auf Sta­ti­on”. Das Rote Kreuz betreibt das Ret­tungs­zen­trum auf der Nord­sei­te des Kli­ni­kums. Der ADAC stellt den Hub­schrau­ber und die Pilo­ten. Das Kli­ni­kum stellt die Ärzte. 

RETTUNGSSTATION

Stim­men  … Hal­lo … Wo liegt er denn da ? … Wir sind gleich da ! … Hier ist die Leit­funk­stel­le Ful­da mit Ret­tungs­dienst-Ein­satz für Rot­kreuz Ful­da 9183 … Brau­chen den Unfall­chir­ur­gen im Schock­raum, Ober­schen­kel und Tho­rax … Was hat das Kind für Ver­let­zun­gen? Kön­nen Sie mir das sagen? 

Spre­cher  Sonn­tag, 17 Uhr. 

(…)

Mon­tag, 8 Uhr. Pünkt­lich auf der Mat­te. Für mei­nen Nach­barn Joa­chim ist Dienst­be­ginn. Dr. Feh­ren­bach hat Fei­er­abend, nach 23 Stun­den. Er war 7,2 Stun­den auf Sta­ti­on plus 15,8 Stun­den in Bereitschaft. 

Dr. Feh­ren­bach  Ich mach das jetzt seit zehn Jah­ren bald. Und das ist das, was einen fer­tig macht mit der Zeit – die­se Art von Ein­sät­zen, wo man aus­’m tie­fen Schlaf von jetzt auf gleich ein­satz­be­reit sein muß. 

Die­se Ent­schei­dungs- und Hand­lungs­ab­läu­fe gelin­gen nur des­we­gen, weil sie eigent­lich mehr oder weni­ger unter­halb der Bewusst­seins­ebe­ne ablau­fen. Und es geht immer um Zeit. Dann klap­pert nur noch das Geschirr…

Dr. Eitel  Das sind Algo­rith­men, die ste­hen für häu­fig wie­der­keh­ren­de Not­fall­si­tua­tio­nen zur Ver­fü­gung – die man irgend­wann mal lernt. Und die 

lau­fen dann ab. 

Dr. Zühl­ke  Es ist noch eine enor­me Angst bei mir… Dadurch, daß ich noch rela­tiv uner­fah­ren bin als Not­ärz­tin. Ich fahr jetzt unge­fähr seit einem hal­ben Jahr. Ich bin froh, wenn der Ein­satz nicht so schlimm ist – dem Pati­en­ten geht’s gar nicht so schlecht wie gedacht. Dann bin ich nicht bös’ drum ! Ich bin froh, wenn’s dem Pati­en­ten gut geht, und dann kön­nen wir wie­der fahren.

IM FAHRENDEN NOTARZTWAGEN

Spre­cher Mon­tag, 19 Uhr. 

Stim­men  … Oben an der Kreu­zung links … Auf der rech­ten Sei­te gucken … 

Die Haus­num­mer 2 … Links ist 1 und 3 … Ah, da steht schon jemand!

Spre­cher  Neben mir der Ret­tungs­as­sis­tent streift die dün­nen Hand­schu­he aus Latex über – heu­te schon zum ach­ten Mal. 

DER WAGEN HÄLT

Der Griff nach EKG und Sau­er­stoff­ge­rät. Und raus. Unser Blau­licht lockt die Nach­barn an die Fenster.

AUSLADEN DER TRAGE / HASTIGE SCHRITTE IN EINEM TREPPENHAUS / TÜRKLINGEL

Dr. Eitel  Guten Tag. 

Stim­me  Es ist viel bes­ser gewor­den, 2 bis 3 Minu­ten bevor Sie kamen…

Dr. Eitel  Schön, wie hei­ßen Sie denn? Und wie alt sind Sie? 

Pati­en­tin  87 …

Dr. Eitel  87 …  Ja, es sieht so aus, als hät­ten Sie einen leich­ten Schlag­an­fall erlit­ten. Wir müs­sen Sie in die Kli­nik mit­neh­men. Machen Sie mal ’nen spit­zen Mund — wie wenn Sie pfei­fen wollen.

Pati­en­tin  (VERSUCHT ZU PFEIFEN)

Stim­me  Ihre Toch­ter ruf’ ich noch an …

Dr. Eitel  Sie haben doch ein biß­chen Schwie­rig­kei­ten, die rich­ti­gen Wor­te zu fin­den. Aber Sie ver­ste­hen mich ! Es feh­len Ihnen nur die rich­ti­gen Worte!

Pati­en­tin (UNVERSTÄNDLICH

Assis­tent  Nicht erschre­cken !

Dr. Eitel  Kön­nen Sie mir noch mal sagen, wann das unge­fähr ange­fan­gen hat heu­te ? … Auf­’m Weg zum Doktor ?

Pati­en­tin (UNVERSTÄNDLICH

Assis­tent  Die Arme bit­te auf den Bauch … Packst du mal mit an!

Toch­ter der Pati­en­tin  Ich fahr’ hin­ter Dir her ! Ich komm’ Dir nach … Ich komm’ bald nach!

Assis­tent So jetzt wer­den die Bei­ne mal flach …

METALLISCHE GERÄUSCHE

Spre­cher Die Spreiz­bei­ne der Tra­ge klap­pen ein. An die­se herz­lo­sen Geräu­sche muss ich mich erst noch gewöh­nen. Klingt wie Reparaturwerkstatt.

EINSATZ-KULISSE WEG

Dr. Eitel  Sie lag da so … Ich hab sie ange­faßt, hab sie übers Haar gestrei­chelt … Und sie hat dann gelä­chelt ! Und das hat mir gut getan, daß sie lächelt … War für mich ein Zei­chen, daß es ihr wie­der ein biß­chen bes­ser geht. Das ist ein­fach ein gutes Gefühl: Das hat funk­tio­niert, das hast du gut gemacht ! Wenn einen nie­mand lobt, sitzt man da und denkt: Das war net schlecht ! Und der enor­me Auf­wand an tech­ni­schen und mensch­li­chen Res­sour­cen, auch an Geld … war gut! 

Spre­cher  Dienstag,18 Uhr. 

FUSSBALLPLATZ 

Spre­cher  Ein Rhön­dorf. Super­stim­mung auf dem Fußballplatz. 

Hier kicken Knei­pen­mann­schaf­ten. Mehr Bier als Turnier. 

Der Mann ist schon in Sil­ber­fo­lie ein­ge­packt. Er zap­pelt, sei­ne Zäh­ne klap­pern. Dyna­mo Tre­sen heißt der Jux-Ver­ein — mit T wie “The­ke”. 

Ein alko­ho­li­sier­ter Kum­pel hält die Infusionsflasche. 

DER VERLETZTE SCHNAUFT, STÖHNT UND JAMMERT

Stim­men …Ganz ruhig … Das brennt !

Spre­cher  Der Not­arzt zieht die Sprit­zen auf — Beru­hi­gungs- und Schmerz­mit­tel. “Isses Sschlimm, Herr Dok­tor ?” fragt mich der Kum­pel. “Schät­ze Waden­bein­bruch. Ab in die Klinik !”

SPORTPLATZ-KULISSE WEG

Dr. Eitel  Wir sind hier in der glück­li­chen Situa­ti­on, daß wir ein rei­ches Land sind und uns die­se Unfall­me­di­zin leis­ten kön­nen. Daß jeder eben die Chan­ce haben soll, daß er best­mög­lich ver­sorgt wird. Dar­an glaub ich. Die­ser Mensch hat die­ses eine Leben. Und wenn er jetzt eine Dumm­heit gemacht hat, er ist des­halb auf den Kopf gefal­len, dann nützt es ihm nichts, wenn man ihn schlech­ter behan­delt – so nach dem Mot­to: Er ist besof­fen, er ist sel­ber schuld ! 

(…)

Spre­cher  Wie geht’s eigent­lich dem Kneipenfußballer? 

STATION

Spre­cher  Er liegt auf der 4 B. Hat viel Besuch. Ges­tern die Trup­pe von “Dyna­mo Tre­sen”. Heu­te eine Grup­pe Biker, schwarz, mit Blumensträußen. 

Lucky Das ein­zi­ge, was bei mir jetzt noch ganz ist, das sind die zwei Nieren, 

die Leber und das rech­te Bein. Sonst war alles schon kaputt. Alles! 

Spre­cher  Ein Vete­ran des Stra­ßen­kriegs. Immer wie­der Unfäl­le. Fünf Jah­re lang außer Gefecht, alles in allem. Heu­te kriegt er sei­nen Gips und sei­ne Krücken. 

LuckyIch war drei­mal kli­nisch tot. Zwei­mal haben sie mich mit dem Not­arzt zurück­ge­holt und ein­mal auf der Inten­siv­sta­ti­on. In der Lun­ge war ja ein zehn Zen­ti­me­ter lan­ger Riss. Die Lip­pen waren total kaputt, die Zun­ge war ab. Ich hatt’ auch noch’n klei­nen Gehirn­scha­den  – zwei­ein­halb Wochen, aber das ist mir eigent­lich Wurscht … (LACHT)

 Spre­cher  “Lucky” steht auf sei­nem Arm als bun­te Täto­wie­rung. Schon drei­mal dem Tod von der Schip­pe gesprungen.

Lucky  Mei­ne Eltern hab ich am Anfang auch nicht erkannt und so… 

Spre­cher  Da braucht man einen Hau­fen Glück ! Der vom Sonntag 

hat­te weni­ger Glück. Man wird ihm das zer­fetz­te Bein wahr­schein­lich abschneiden.

LUCKY KRAMT KURZ IM NACHTSCHRANK

Spre­cher Poli­zei­fo­tos in Klarsichthüllen. 

Lucky … Das ist ein Ori­gi­nal­bild …Das war bei mei­nem ers­ten Unfall kaputt … 

Spre­cher   Sein Motor­rad war ein “Chop­per”, ein Genussfahrzeug. 

Eine Fünf­zehn­hun­der­ter.  

 Lucky  So sah das Auto aus, wo ich rein­ge­fah­ren bin!

Autor  Du lie­ber Gott ! 

Lucky  Das Motor­rad ist irgend­wie … das Leben. Erst das Motor­rad, dann die Frau­en !  (FETTES GELÄCHTER)

Autor  Was ist denn dem Fah­rer pas­siert von dem Auto?

Lucky Die ist tot … 

KULISSE WEG 

RETTUNGSZENTRUMHUBSCHRAUBER-HANGAR / TOR ÖFFNET SICH HYDRAULISCH

Spre­cher  Don­ners­tag, kurz nach Acht. Mei­ne fünf­te Schicht. Der Heli­ko­pter “Chris­toph 28” fliegt nach Hil­ders in der Rhön. Fahr­zeug von der Stra­ße abge­kom­men, brennt, wahr­schein­lich vier Verletzte. 

Mehr weiß die Leit­stel­le noch nicht. 

HELIKOPTER STARTET 

(…)

INTENSIVSTATION

Spre­cher9.30 Uhr. Intensivstation. 

Der Motor­rad­fah­rer, den wir Sonn­tag auf­ge­le­sen haben, ist noch tief bewußt­los. Künst­li­ches Koma. Sein Leben wei­ter auf der Kippe.

Dr. Eitel  Also der Pati­ent ist sicher jemand, der ohne unser moder­nes Not­arzt­we­sen pri­mär gar nicht über­lebt hät­te. Der wäre am Unfall­ort ver­stor­ben ohne Not­arzt, ohne Hub­schrau­ber. Der hat in der ers­ten Zeit eine Unmen­ge Blut bekommen. 

Auf so eine schwe­re Mehr­fach­ver­let­zung reagiert der Kör­per mit einer gene­ra­li­sier­ten Ent­zün­dungs­re­ak­ti­on. “Sys­te­mic infla­ma­to­ry respon­se syn­drom” – so nennt sich das … in den Gefä­ßen, an den klei­nen Blut­ge­fä­ßen, in der Nie­re, in der Lun­ge, in der Leber, bei der Kreis­lauf­re­gu­la­ti­on. Alles das hat er hin­ter sich. 

RETTUNGSZENTRUM / DRAUSSEN LANDET DER HUBSCHRAUBER

Spre­cher  9.45 Uhr. Der Heli­ko­pter  kommt zurück. Für Dr. Keul, der eigent­lich schon Dienst­schluss hat­te, war das Ein­satz Num­mer 12 in die­ser Schicht.

Vier jun­ge Män­ner auf der Heim­fahrt von der Tech­no­par­ty ges­tern abend. In einer Links­kur­ve der B 278 kommt der Wagen von der Stra­ße ab, prallt gegen einen Baum, fängt Feu­er. Der Fah­rer ist vor Über­mü­dung eingeschlafen. 

11.30 Uhr. Dr. Keul berichtet:

Dr. Keul  … Die bei­den Pati­en­ten haben in einem Abstand von 5 bis 10 Metern neben­ein­an­der im Wald gelegen. 

Und der ers­te Ein­druck war, daß der eine Pati­ent sich noch bewegt hat. Und der zwei­te Pati­ent, der war still und hat­te eine soge­nann­te Schnapp­at­mung — eine schwa­che, ganz schwa­che, ver­sie­gen­de letz­te Atmung. Es war ein Pati­ent, dem man gleich ange­se­hen hat, dass er unmit­tel­bar vorm Atem­still­stand steht. 

Gut — man muss bei einem Pati­en­ten anfan­gen … Hab’ dann letzt­end­lich mit dem ange­fan­gen, dem’s schlech­ter ging. Da war’s nach weni­gen Minu­ten klar, daß der ster­ben wür­de und zwar noch an der Unfall­stel­le. Wir haben schon wäh­rend der Wie­der­be­le­bungs­maß­nah­me gese­hen, daß der Bauch­um­fang erheb­lich zunimmt, daß es da offen­sicht­lich in den Bauch blu­tet, da ein mas­si­ver Blut­ver­lust ist. Im EKG war eine Null-Linie, dem­entspre­chend kei­ne tast­ba­ren Pul­se. Die Atmung hat­te ja auch schon aufgehört. 

Und da hab ich mich schnell ent­schlos­sen, die­sen ers­ten Pati­en­ten zu ver­las­sen und mich dem ande­ren zuzu­wen­den. Dann haben wir ihn dann in Win­des­ei­le in den Hub­schrau­ber ein­ge­la­den und in die Kli­nik gebracht. 

Der Pati­ent ging dann in den OP, hat­te in die­ser Pha­se noch so’n halb­wegs pas­sa­blen Kreis­lauf, aber dann, als der Bauch eben eröff­net wur­de — dann war so der ers­te Ein­druck von den Chir­ur­gen, daß die Leber von dem Pati­en­ten völ­lig zer­bors­ten war durch die­sen enor­men Auf­prall. Und die­se Blu­tung, die war letzt­end­lich auch net zu beherrschen.

Autor Wie lang hat man sich da noch bemüht ?

Dr. Keul  Ein­ein­halb Stunden …

(…)

Spre­cher  12.10 Uhr. Ein Wohnheim.

TREPPENHAUS

Stim­men … Wir sind benach­rich­tigt wor­den, weil er seit län­ge­rem nicht in sei­ner Trink­hal­le gese­hen wur­de … Wohnt hier … Ist alko­hol­krank … Auf Grund des Geru­ches haben wir dann die Woh­nung öff­nen lassen…

Spre­cher  Der Haus­meis­ter hat die Lei­che ent­deckt. Zwei Poli­zei­be­am­te hal­ten Taschen­tü­cher vors Gesicht.

Not­ärz­tin Dr. Zühl­ke … Darf ich das Bügel­brett mal bei­sei­te neh­men? So las­sen – ja ?

Spre­cher  Dunk­les Zim­mer, Vor­hang zu. Hal­bent­klei­de­te Gestalt zwi­schen umg­stürz­ten Möbel­stü­cken. Das Gesicht kaum zu erken­nen. Schwarz. 

Dr. Zühl­ke  Haben Sie die Per­so­na­li­en von dem Mann ?

Spre­cher  … Zer­flie­ßen­de Mate­rie. Fah­les Licht vom Fern­se­her, der schon weiß-wie-lan­ge läuft. “Den konn­te kei­ner ausstell’n”, sagt der Haus­meis­ter sarkastisch. 

KULISSE  WEG

(…)

NOTRETTUNGSSTATION

Spre­cher  13.15 Uhr. Rettungszentrum

NOTÄRZTIN FÜLLT DEN LEICHENSCHEIN AUS

Dr. Zühl­ke …Das ist jetzt mein drit­ter, den ich aus­stel­le … Gott-sei-Dank kommt das nicht so häu­fig vor … Da muß ich den Zeit­punkt ein­tra­gen, wann wir die Lei­chen­schau durch­ge­führt haben. (SCHREIBT) 

Ich hab’ jetzt ein­fach ange­kreuzt: “Todes­art unge­klärt”. Alles wei­te­re ist der Kri­mi­nal­po­li­zei überlassen .

Hal­lo Christoph !

(ZU DEM KOLLEGENDas war ein Pati­ent — das ein­zi­ge was wir über den wuss­ten: dass er ein bekann­ter Alko­ho­li­ker ist. Und er lag jetzt wahr­schein­lich schon tage­lang tot in sei­ner Woh­nung. Wir sind ein­fach nur hin­zu­ge­ru­fen wor­den, um die Lei­chen­schau durchzuführen. 

Kol­le­ge  Todes­art ungeklärt … 

Dr. Zühl­ke Sol­che Din­ge wie – dass Blut­spu­ren im Bad waren … 

Kol­le­ge  Das kannst Du an der Epi­kri­se unten ange­ben, nähe­re Anga­ben zur Todesursache …

Dr. Zühl­ke  Und das hier kom­plett aus­las­sen … (SCHREIBT

Ich konn­te eigent­lich nur noch den Tod fest­stel­len. Für mich war’s  ein trau­ri­ger Anblick — zu sehen,  daß es kein schnel­ler Tod war, dass er ein­sam gestor­ben ist und in was für Ver­hält­nis­sen der gelebt hat.

Dann denk’ ich mir oft, wenn ich dann in unse­re Woh­nung rein­komm’: Wie schön wir doch woh­nen ! Man lebt bewuss­ter. Das hält natür­lich oft nicht lan­ge an … 

Also ich hab’ Woh­nun­gen gese­hen – das hätt’ ich mir nie gedacht, daß Men­schen so hau­sen können! 

Kol­le­ge (Dr. Rath­jen) … nicht nur engs­te Ver­hält­nis­se oder unauf­ge­räumt, son­dern … Ster­ben­der Pati­ent und zwei Ange­hö­ri­ge, jeder sitzt in sei­nem Zim­mer und guckt Fern­se­hen. Jeder guckt ein ande­res Fern­seh­pro­gramm. Das war für mich so das schrills­te Erlebnis. 

Autor  Ist nicht wahr! 

Dr. Rath­jen  Doch! 

Autor  Und die wuß­ten, daß der Drit­te stirbt?

Dr. Rath­jen  Die haben uns ja geru­fen ! Die woll­ten nicht, daß er zu Hau­se ster­ben kann, son­dern wir soll­ten ihn mit­neh­men. Also haben wir ihn mitgenommen.

Dr. Eitel  Gestor­ben wird im Krankenhaus. 

Dr. Feh­ren­bach  Für alles wo man Spe­zia­lis­ten hat, braucht man sich sel­ber die Fin­ger nicht dre­ckig zu machen. Wir bezah­len Kran­ken­kas­sen­bei­trä­ge und wir bezah­len Steu­ern, wir bezah­len alles mög­li­che. Und jetzt sol­len halt die Pro­fis kom­men und es rich­ten und es machen. 

Inso­fern schafft man sich eine gesell­schaft­li­che Situa­ti­on, wo man Kran­ken­häu­ser wie Tem­pel baut, sich mehr oder weni­ger gut dotier­te Spe­zia­lis­ten zur Erfül­lung die­ses läs­ti­gen The­mas hält und die in einem Raum gro­ßer per­sön­li­cher Distanz wal­ten und ver­wal­ten lässt. Punktum. 

KULISSE WEG

Spre­cher  Don­ner­tag, 16 Uhr.

IM NOTARZTWAGEN / FAHRZEUG HÄLT

Ret­tungs­as­sis­tent  Ach — da oben liegt er ! 

GERÄUSCHE BEIM AUSSTEIGEN / WAGENTÜR WIRD ZUGESCHLAGEN

Spre­cher  Männ­li­che Per­son in leich­tem Som­mer­an­zug. Rückenlage. 

Der Mann muss über 80 sein. 

Not­arzt  … Gut … Dann machen wir mal zwo Mil­li­gramm Adre­na­lin auf zehn Mil­li­li­ter … Und über’n Absaugkatheter… 

Spre­cher  Das Gesicht ist tief­blau ange­lau­fen. Rote Brief­um­schlä­ge lie­gen auf dem Geh­weg, schon fran­kiert. Wie Ein­la­dun­gen zu einem Fest. Nur noch 50 Meter bis zum nächs­ten Briefkasten.

STIMMEN / ARBEITSGERÄUSCHE / AUGENZEUGEN:

Der ist eben umge­fal­len … Der ist hier mit dem Rol­ler rum­ge­fah­ren und hatt dann geru­fen: “Der Mann ist umge­fal­len “… Ja ! … Die Hän­de haben noch gezittert… 

Spre­cher Schwer arbei­ten­der Not­arzt und die bei­den Ret­tungs­as­sis­ten­ten an dem Leb­lo­sen. Ein Strom­stoß von 200 Joule fährt in den Kör­per. Der Mann bäumt sich auf. Ein zwei­ter Ver­such. Ein drit­ter. Doch das Herz will nicht mehr ansprin­gen. Flim­mert noch ein wenig. Dann steht es nur noch still.

KULISSE WEG

Dr. Eitel  (IM RETTUNGSZENTRUM)  Das ist ja das Maxi­ma­le, was wir machen: Der Tod ist ein­ge­tre­ten, und da kommt das Not­arzt­team und ver­sucht, durch die Wie­der­be­le­bungs­maß­nah­men die­ses Ereig­nis rück­gän­gig zu machen. 

Das Zeit­fens­ter vom initia­len Ereig­nis, wenn jemand einen Kreislaufstillstand 

hat, also das Gehirn, die Orga­ne nicht mehr durch­blu­tet sind, bis spä­tes­tens was pas­siert, sind fünf Minu­ten, bis das Gehirn irrever­si­blen Scha­den nimmt. Obwohl wir sicher eines der bes­ten Ret­tungs­we­sen der Welt haben, sieht man schon, dass das knapp wird. 

Man weiß ja net genau, wie lang das schon alles zurück­liegt. Des­halb wird 

man natür­lich im Zwei­fels­fall immer die Reani­ma­ti­ons-Maß­nah­men einleiten. 

Je jün­ger der Pati­ent ist, des­to län­ger wird man’s ver­su­chen. Trotz aller tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten sind die Erfolgs­chan­cen gering.

Die Reani­ma­ti­on ist die letz­te Mög­lich­keit, die man hat. Und meis­tens ist es zu spät oder nützt nix. Das ist schon so …

Jeder von uns Not­ärz­ten hat die Erfah­rung sicher schon gemacht: Man hat jeman­den wie­der­be­lebt, man hat den Kreis­lauf wie­der in Gang gebracht, man hat ihn hier in  die Kli­nik gefah­ren — und ein paar Tage spä­ter geht man dann auf die Ins­ten­siv­sta­ti­on, dann sagen die: Gut — Kreis­lauf sta­bil, aber hypo­xi­scher Hirn­scha­den. Der wird nie mehr auf­wa­chen. Das, was die­sen Men­schen aus­macht – die indi­vi­du­el­le Exis­tenz (SIGNALTON) die­ser Person… 

Jetzt muss ich doch flie­gen … Muss auch noch pinkeln …

Autor  O. k. ‑Komm’ gesund wieder !

TÜR WIRD ZUGESCHLAGEN / ATMO RETTUNGSZENTRUM WEG

(…)

Spre­cher  Frei­tag. Alle reden noch von dem Unfall nach der Tech­no-Par­ty, oben in der Rhön. Ges­tern war die Trau­er­fei­er für den einen 16-Jäh­ri­gen. In der Kir­che spiel­ten sie sein Lieb­lings­lied: “One more time”. 

SONG: “ONE MORE TIME” (DAFT PUNK

Spre­cher  Todes­an­zei­gen:

Wir trau­ern um Jan — du wirst uns feh­len” – “Ein ewi­ges Rät­sel ist das Leben — und ein Geheim­nis ist der Tod — Trach­ten­grup­pe Gersfeld” – 

Ihr wart noch jung, ihr starbt so früh / Wer euch gekannt, ver­gisst euch nie. Eure Freun­de: Olli, Hei­ko, Chris­ti­an, Jen­ny, André, Tina, Car­men, Sascha …” – 27 Namen. 

MUSIK WEG

(…)

Dr. Feh­ren­bach  Es ist ja die Fra­ge: Wenn man immer mit Tod kon­fron­tiert ist, ist man ja auch mit sei­ner eige­nen End­lich­keit kon­fron­tiert. Und wenn man sagt: Es gibt da ’nen Gro­ßen, des­sen Rat­schlüs­se man nicht durch­schaut, der wird schon wis­sen für was es gut ist – dann muß ich auch nicht für alles die Ver­ant­wor­tung tragen. 

Dr. Keul Es wäre natür­lich schon sehr bedeut­sam, wenn man bei­spiels­wei­se sicher an ein Leben nach dem Tod glau­ben wür­de. Im Jen­seits tref­fen sich doch alle wie­der, und dann wird alles gut. Da könn­te man sicher mit man­chen tra­gi­schen Situa­tio­nen bes­ser umge­hen als ich’s kann. Ich den­ke, dass sehr reli­giö­se Ärz­te sich da ver­mut­lich leich­ter tun.

Spre­cher  Und noch ein Nach­ruf in der Zei­tung: “Kurz vor Voll­endung sei­nes 90. Geburts­tags starb ges­tern unser lie­ber Vater, Schwie­ger­va­ter, Opa, Uropa…”

Die roten Briefumschläge !

Wir wol­len nicht trau­ern, daß wir ihn ver­lo­ren haben, son­dern dank­bar sein, daß wir ihn hatten…”

RETTUNGSZENTRUM / FERNSEHTON 

Spre­cher  23 Uhr. Ret­tungs­zen­trum. Mann­schafts­raum. Im Fern­se­her zum x‑ten Mal “Das Boot” nach dem Roman von Lothar-Gün­ther Buch­heim. Kei­ner sieht mehr hin.

Nacht­ge­sprä­che.

Dr. Eitel  Das Interessante,was Du heu­te mor­gen ver­passt hast, war eben die Ent­schei­dung, jeman­den nicht wie­der­zu­be­le­ben. Die Mel­dung war: Pati­ent mit bekann­ter koro­na­rer Herz­krank­heit im Gar­ten zusam­men­ge­bro­chen, bewusst­los. Wir haben dann im Wohn­zim­mer einen alten Mann vor­ge­fun­den, in den Armen sei­ner Toch­ter liegend. 

Vom ers­ten Aspekt her war der Mann tot. Er hat­te wei­te licht­star­re Pupillen. 

Er hat­te kei­nen tast­ba­ren Caro­tis­puls mehr. Er hat­te einen Atem­still­stand. Das EKG, das wir abge­lei­tet haben, hat eine Asy­sto­lie gezeigt. Beim Öff­nen der Klei­dung haben wir gese­hen, er hat einen künst­li­chen Aus­gang als Hin­weis für eine bös­ar­ti­ge Erkran­kung. Er war 82 Jah­re alt, Krebs wahrscheinlich.

Dann hat die Toch­ter noch gesagt: Ja, sie hat uns erst so spät geholt, weil ihr Vater, als er noch mit ihr spre­chen konn­te, woll­te nicht, daß der Not­arzt kommt. Er will nicht an Maschi­nen ange­schlos­sen werden. 

Und das alles zusam­men — der Zustand des Pati­en­ten, die wei­ten, schon ent­run­de­ten Pupil­len als Zei­chen für eine schon ein­ge­tre­te­ne zere­bra­le Stö­rung, also Schä­di­gung des Gehirns, das Alter des Pati­en­ten, die bös­ar­ti­ge Grund­er­kran­kung, der glaub­haft wei­ter­ge­ge­be­ne Wil­le des Pati­en­ten —  hat dann mich ver­an­lasst, in die­ser Situa­ti­on kei­ne erwei­ter­ten Reani­ma­ti­ons-Maß­nah­men ein­zu­lei­ten, son­dern den Wil­len des Pati­en­ten zu respek­tie­ren und den Tod, der schon ein­ge­tre­ten war, als fin­an­les Ereig­nis zu akzeptieren. 

Die letz­ten Wor­te, die der Vater zu der Toch­ter gesagt hat: “Jetzt ist alles zu Ende”. 

Damit bin ich auch sehr zufrie­den dass das so war. Ich den­ke, dass der Mann genau so gestor­ben ist, wie er sich das gewünscht hat. Er war kurz vor­her noch in sei­nem Gar­ten und ist dann in den Armen sei­ner Toch­ter gestorben. 

Dr. Feh­ren­bach  Das ist ein ganz schwie­ri­ges The­ma. Rein recht­lich gese­hen han­deln wir im mut­maß­li­chen Wil­len des Pati­en­ten, und die­ser mut­maß­li­che Wil­le, wenn wir den nicht wei­ter erfor­schen kön­nen, ist immer die Lebenserhaltung. 

Ein Hip­po­kra­tes – der hat­te es rela­tiv ein­fach. Der konn­te jeman­dem ins Gesicht schau­en, und wenn der eine “faci­es hypo­cra­ti­ca” hat­te – also man sieht jeman­dem an, wenn er einen Schock­zu­stand hat, das sieht man schon am Gesicht, das ist die­ser Gesichts­aus­druck, wenn jemand kurz vor dem Ster­ben liegt –, da hat der Hip­po­kra­tes gesagt, vor 2500 Jah­ren: “Von denen lasst die Fin­ger, an denen hat ein Arzt nix mehr ver­lo­ren”. Und das sind gera­de heu­te unse­re Patienten. 

Da ist unse­re Gesell­schaft schwer auf den Hund gekom­men. Wie gehen wir mit Ster­ben­den um? Wir müs­sen alle lan­ge Zeit am Leben erhal­ten. Da ist die Mensch­heit mit sich sel­ber sehr grau­sam geworden! 

Dr. Rath­jen  Also wenn ich wirk­lich heu­te noch­mal die Wahl hät­te, und ich möch­te Men­schen hel­fen, dann würd ich nicht unbe­dingt Medi­zin machen. Die­ser Aspekt der sozia­len Hil­fe bleibt ein­fach zu sehr auf der Strecke. 

Autor  Was wür­den Sie dann lie­ber machen?

Dr. Rath­jen  Ja – dann würd ich eher sozi­al­päd­ago­gisch tätig wer­den. Erwach­se­nen­bil­dung oder Jugend­ar­beit, Jugend­zen­trum … Man fragt: Hast Du Schmer­zen? Ja — wo? O. k. -– kriegst hier was. So ungefähr. 

Und dann ist man schon im Kran­ken­haus, und alles ist vorbei. 

Aber selbst wenn ich woll­te, könnt’ ich kaum … Ich hab viel zu sehr mit logis­ti­schen Sachen zu tun. Doku­men­tie­ren, auf­schrei­ben, in den Com­pu­ter ein­ge­ben, abhef­ten, Lei­chen­schauschein aus­fül­len nimmt fast mehr Zeit in Anspruch, als sich um die Lei­che zu kümmern! 

Das ist so schlimm inzwi­schen, dass, wenn ich jetzt einen Pati­en­ten im Ein­satz habe, der mich irgend­wie sehr beschäf­tigt — dass ich nach  einer Woche den Men­schen, wenn ich ihn auf der Stra­ße begeg­nen wür­de, wahr­schein­lich nicht wie­der­erken­nen würde… 

(…)

Spre­cher  1.20 Uhr. 

WEBEREI / IM BÜRO DES PRODUKTIONSLEITERS 

Ver­letz­ter  …Ich hab Schmer­zen ohne Ende … Schei­ße ! Mann — Mann — Mann — Mann — Mann — So’n Scheiß! 

Not­arzt (Dr. Keul)  Sie krie­gen sofort was!

Spre­cher  Nacht­schicht­in der größ­ten Webe­rei der Stadt — der Saal für schuss­si­che­re Wes­ten. Ein unzer­reiß­ba­rer Faden hat sei­ne Hand in das Web­blatt gezo­gen und zwei­ein­halb Fin­ger amputiert. 

Ver­letz­ter  Schei­ße, Mann ! Da kann man net ruhig blei­ben ! Mei­ne Hand ist im Arsch ! Total im Arsch ! Schei­ße !!! … Daß ich  die Hand net mehr hab !  … Bin ich blöd, wie die Nacht ! Mann — Mann — Mann — Mann — Mann !! Nein — nein — nein ! Das gibt’s doch net ! Das ist doch ’n Film — oder ? Das ist ’n Film, das ist net wahr !! ’n scheiß Film!

Spre­cher  Auch der Assis­tent schluckt hef­tig. Steckt die abge­trenn­ten Fin­ger in den dop­pel­wan­di­gen Trans­port­beu­tel — innen tro­cken, außen Eiswasser. 

Der Werk­meis­ter muß raus­ge­hen, kippt sonst um.

TÜR GEHT AUF / GERÄUSCHE DES WEBEREI-SAALS

Arbeis­kol­le­ge Bleib’ lie­gen ! Bleib’ lie­gen ! Er muss doch lie­gen bleiben!

Spre­cher  All­mäh­lich wirkt das Schmerz­mit­tel, der Mann wird ruhiger.

Er schläft.

Auch der Not­arzt wird sich eine Wei­le hin­le­gen. Er ist seit 8 Uhr mor­gens auf den Bei­nen. Im Ret­tungs­zen­trum hat er Spind und Bett. Und den Alarm­pie­per daneben.

(…)

KRANKENZIMMER

Kran­ken­haus “Hohe War­te” in Bay­reuth. In einem Vier­bett­zim­mer, Fens­ter­platz, liegt der 26jährige Motor­rad­fah­rer, der auf einer Land­stra­ße bei Ful­da fast gestor­ben wäre. Damals – vor neun Monaten. 

Pati­ent  Ja, ich hab’s über­stan­den — den Ärz­ten sei Dank!

Spre­cher  Der Sta­ti­ons­arzt.

Dr. Iven  Die Dia­gno­se ist: Inkom­plet­te Quer­schnitts­läh­mung unter­halb unge­fähr C5 bei Zustand nach Mylon-Ein­blu­tung in Hals­mark und zusätz­lich ein Zustand nach Bein­am­pu­ta­ti­on links — Ober­schen­kel­am­pu­ta­ti­on — bei nicht zu beherr­schen­der Weich­teil­ver­let­zung. Wobei er das eine Bein, das ihm bleibt, gar nicht mehr bewe­gen kann. Die Hän­de sind halb­ge­lähmt. Zusätz­li­che Behin­de­rung ist ein künst­li­cher Darm­aus­gang, ein künst­li­cher Bla­sen­aus­gang im Sin­ne einer Uri­n­ab­lei­tung durch die Bauch­de­cke…

Ziel ist, dass er das Fah­ren im Roll­stuhl so beherrscht, daß er sich mit sei­nen teil­ge­lähm­ten Armen und Hän­den selbst im Roll­stuhl fort­be­we­gen kann. 

Pati­ent  Ein biß­chen ist wie­der gekom­men … Ange­fan­gen hat’s am 12. Dezem­ber – da hat der klei­ne Fin­ger ange­fan­gen, sich zu bewe­gen. Da hatt’ mei­ne Mut­ter Geburts­tag an dem Tag… 

Mitt­ler­wei­le sind ’s sie­ben Fin­ger, die ich wie­der ’n bis­sel bewe­gen kann. 

Ich hoff’, daß wenigs­tens die rech­te Hand noch bes­ser wird. 

Also, irgend ein Ziel war eigent­lich immer da.

Autor  Wie wür­den Sie das jetzt beschrei­ben, das Ziel ?

Pati­ent  Ja – das wei­te­re Leben nach der Reha … 

Ja – das Leben eben …

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