Aus der Korrespondenz im Oktober 2012 während der Arbeit an „Objektive Lügen – Subjektive Wahrheiten / Radio in der Ersten Person” mit einem Feature-Enthusiasten über unsere Furcht vor dem medialen Gezeitenwechsel.
Lieber …
Dein Echo hat mich umgehauen. Längere Briefe bekommen wir ohnehin nur noch selten. Und dann so einen … Pour-le-merite für Deine freiwillige (!) Fron in diesem Text-Bergwerk. Entsprach so ungefähr meiner eigenen Maloche – spiegelbildlich: der Berg an Notizen, Ausschnitten, Feature-Texten und immer wieder neuen “Mindmaps” auf der einen Seite, die langsam entstehende Zusammenschrift auf der anderen. Wie Kohle schippen. Ein eher naturwüchsiger Prozess, das Gegenteil von “wissenschaftlich” – was man sicher noch merkt und merken darf.
(…)
Gedanken über die Zukunft des Mediums (und “der Welt” im allgemeinen) gehen auch mir natürlich ständig durch den Kopf und sind im Haus Kopetzky ein Frühstücksthema. Wie es morgen, nächstes Jahr oder in zehn Jahren weitergehen wird, weiß niemand. Die Debatte im professionellen Bereich dreht sich leider vor allem um die technische Entwicklung, das multimediale Transportmittel. Aber das “Medium” ist eben nur die halbe “Message” (das hatte schon der Erfinder der provokanten Formulierung, McLuhan, zugeben müssen). Wir Autoren sind zu allererst für Inhalte zuständig.
In diesem Sinn verstehe ich mich als gedanklicher “Zulieferer” im Hintergrund. Die Medienwissenschaft produziert vor allem Seifenblasen, mit denen die Praxis nicht viel anfangen kann. Aber auch bei uns, den Machern, sieht ’s theoretisch dünn aus. Eine größere Arbeit über das dokumentarische Fach im multimedialen Zeitalter fehlt bisher. Der SWR betreibt zu diesem Thema seit einiger Zeit einen “Dokublog”, wo ich mich etwas einschalten möchte. Aber ratlos sind wir im Grund alle. Trifft das nicht auf viele Bereiche zu: Politik, Wirtschaft, Erziehung…
Die programmliche Umsetzung muss leider Sache der Medienpolitik, des “Apparats” (ARD etc.) und nicht zuletzt der Industrie (Apple, Microsoft) bleiben. Da liegt auch der Hund begraben. Wir sind Zaungäste.
(…) Feature, Hörspiel und ähnliches war — bis auf die unmittelbare Nachkriegszeit mangels Alternativen – nie mehrheitsfähig. Anspruchsvolles Radio ist immer Minderheitenprogramm gewesen. Samstagmorgens sendet Deutschland Radio Kultur immer Reprisen aus den “goldenen” Fünfziger Radiojahren (Hans Rosenthal etc.) Da graust ’s einem aber!
Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern auf der Welt fahren wir mit den Öffentlich-Rechtlichen z. Z. ja noch gut. Das wird so lange gehen, als die Radioversorgung von Minderheiten nicht an der Quoten-Elle gemessen wird – also nicht mehr allzu lang. Deshalb ist es schon legitim, über andere “Plattformen” zu räsonieren – was natürlich mehr die Nachkommenden als uns selbst betrifft.
Wir erleben eine Übergangszeit – nein: einen Riss, der vor allem durch kommunikationstechnische Entwicklungen ausgelöst wurde, und ich bemühe mich, dies als überaus schmerzliche und unumkehrbare Tatsache zu akzeptieren. Die Medienpolitiker und ‑theoretiker tun ja nur so, als hätten sie alles kommen sehen und die Zukunft im Griff. Ich denke: Noch lohnt es sich, die Möglichkeiten des deutschen Radiosystems zu nutzen. Immer wieder gibt es kleine Sonnenstrahlen (wie Deinen Brief), die das Gemüt erhellen und manchmal auch unseren Autoren-Eros anstacheln.