Das Radio als Welterzähler

Ein Nach­ruf auf die Magnetbandzeit

DLF / SR 2009  (53:32)


AUSZÜGE:


AUTOR ÖFFNET EINEN BANDKARTON

Autor  So … Da hät­ten wir also ein Magnet­band … Unge­fähr so groß wie
eine Lang­spiel­plat­te (das schwar­ze Ding mit dem Loch in der Mit­te – auch Ver­gan­gen­heit). Der beschich­te­te Kunst­stoff­strei­fen ist um einen Metall­kern gewi­ckelt, den “Bob­by”, und haf­tet auf dem Kern durch die Adhä­si­on der Ober­flä­chen-Mole­kü­le, meis­tens jeden­falls. Man legt das auf den soge­nann­ten “Band­tel­ler” … und drückt … auf “Start”.  

EINSCHALT-GERÄUSCH / AKUSTISCHE ZITATE VOR EINEM HINTER-GRUND AUS INTERNATIONALEN STATIONS-KENNUNGEN

(…)

H.K. im Stu­dio   “Nach­ruf” – Nach­ruf bedeu­tet ja: Da gibt ’s ne Lei­che, da ist was tot …

Moni­ka Stef­fens   Ist ja nicht ganz verkehrt …

Man­fred Hock  Naja — aber Nach­ruf heißt ja auch: Wir rufen einer Sache nach, die wir ger­ne eigentlich …

Wal­traud Fri­cke  … behal­ten hätten !

Wil­helm Schlemm   Also – es war schon was !

Autor  Das sind mei­ne frü­he­ren Kol­le­gen: Moni­ka und Man­fred, Kas­par, Niko, Die­ter, Peter und Ricar­da, Har­ry, Ralf und Ton­meis­ter Schlemm … Man­che haben in die­sem Stu­dio einen gro­ßen Teil ihres Lebens ver­bracht.

Moni­ka Stef­fens   Wenn ihr euch erin­nert: Wenn man frü­her durch ’s Funk­haus gegan­gen ist — da kam über­all Musik raus, oder Wort … Und über­all saßen irgend­wel­che Teams zusam­men. Heu­te sitzt jeder mit ‘m Kopf­hö­rer, mit ‘m Head Set, vor sei­nem Bild­schirm und es ist abso­lu­te Stil­le! Nix mehr zu hören im Funk­haus …

H.K. im Stu­dio  “Dok­tur Mur­kes gesam­mel­tes Schweigen“

DAS DUMPFE GERÄUSCH EINES PATERNOSTERS

Autor  Sie erin­nern sich viel­leicht an die­ses Buch von Hein­rich Böll. Der Pater­nos­ter dreht noch knar­rend sei­ne Run­den – auf­wärts, abwärts … Eine End­los-Band­schlei­fe, von der man abspringt zu den Büros. Oder ganz unten in die Archi­ve.

IN DAS PATERNOSTER-GERÄUSCH MISCHEN SICH STIMMEN UND TÖNE AUS DER ARCHIVIERTEN VERGANGENHEIT

Weib­li­che Stim­me   Ah – this is Lon­don — can you hear us ? — Hal­lo Ber­lin ! — You are rolling ?

Autor  Ich weiß nicht, wann wir zuerst bemerk­ten – Mit­te der 90er Jah­re viel­leicht — dass die Magnet­band­zeit zu Ende geht. Kein D‑Day, kein Doomsday – die Inva­si­on der Bits und Bites voll­zog sich lei­se, schlei­chend. Plötz­lich Bild­schir­me in den Stu­di­os, hier und da. Neben den Reg­lern der Mix-Kon­so­le: die Maus. Hel­le Fle­cken auf dem PVC – da stan­den mal die zent­ner­schwe­ren Band­ma­schi­nen. Auch ein paar Ton-Inge­nieu­re fehl­ten, ab in die Früh­ren­te. Es war wie ein Sau­ri­er­ster­ben. Fast ver­schlie­fen wir die Zeit­wen­de vom Ana­lo­gi­cum zum Digi­ta­li­cum. Hun­dert­tau­sen­de Kilo­me­ter Magnet­band ver­schwan­den in den Archi­ven – Hör­spie­le, Fea­tures, Musikaufnahmen …

(…)

SENDER-ARCHIV (RBB) / SCHRITTETÜRGERÄUSCHE …

Wolf­gang Weese  … Das sind die alten …

H. K.  … die ganz alten Kartons …

Wolf­gang Weese  … die aus Mos­kau zurück­ge­führt wur­den – also Furtwäng­ler-Auf­nah­men, die hier im gro­ßen Sen­de­saal mal gemacht wur­den und zum Kriegs­en­de nach Russ­land verbracht.

H. K.  Als Kriegsbeute.

Wolf­gang Weese  Die kamen so zurück – teil­wei­se von Mäu­sen ange­fres­sen, die Kar­tons, und auch ’n biss­chen ange­ko­kelt. Aber sie wur­den alle über­spielt und kopiert …

H. K.  Kyril­lisch beschriftet … 

Wolf­gang Weese  1943 – mit­ten im Krieg.

H. K.  Da ste­hen sie ! – Ich darf ’s mal anfassen ?

Wolf­gang Weese  Aber selbstverständlich.

H. K.  Man traut sich kaum, das anzufassen !

Wolf­gang Weese  Wir machen mal eins auf …

ES ERKLINGT: JOHANNES BRAHMS, SERENADE FÜR ORCHESTER Nr.1 D‑dur, op. 11, DIRIGENT WALTER LUTZE / DARAUF:

Autor  Die ers­te erhal­te­ne Ste­reo-Ton­band­auf­nah­me der Welt – Johan­nes Brahms, Sere­na­de op. 11, D‑dur.

(…)

DIGITALISIERUNGSSTATION IM RBB

Wolf­gang Weese  So – ich muss jetzt mal die­se Anla­ge kurz hoch­fah­ren …


KEYBOARD-GERÄUSCH  

REPORTERIN  Wer­den Sie denn den Gro­ßen Vor­sit­zen­den zu Gesicht bekom­men, Udo Lindenberg ?

LINDENBERG  Ich treff’ in heu­te Abend um 19.30 Uhr in Bonn. Ich neh­me teil an einem Abend­essen. Und Erich, mein Freund, wird da sein.

REPORTERIN  Wis­sen Sie denn schon, was Sie anzie­hen wer­den heu­te Abend ?

LINDENBERG  Wir machen das ganz locker und ganz zwang­los. Kei­ne Klei­der­ord­nung. Ich tra­ge Leder und Gum­mi, wahr­schein­lich – weiß noch nicht so ganz genau. Ja nach­dem. Das ent­schei­de ich dann spon­tan. Eins ist doch klar: Hon­ne­cker will sei­nen Brief­freund Udo jetzt mal tref­fen. Nach all den Jah­ren Geflir­te soll es mal zu einer Begeg­nung kommen …

SCHALTGERÄUSCH

Wolf­gang Weese  So …

H.K. Udo Lin­den­berg — wann war das noch mal ? Vor ’89 auf jeden Fall …

Wolf­gang Weese   ’87

H.K.  1987.


BANDLAUFGERÄUSCH

LINDENBERG … Und Erich, mein Freund, wird da sein …

DARAUF:

H.K.  Und das geht jetzt in das Sys­tem … Ver­schwin­det irgend­wo im Haus …

Wolf­gang Weese  Genau ! 

LINDENBERG  … Ich tra­ge Leder und Gum­mi wahr­schein­lich – weiß noch nicht so ganz genau …

SCHALTGERÄUSCH

LINDENBERG  Gitar­ren statt Knar­ren für eine atom­waf­fen­freie Welt im Jahr 2000 … Die Gitar­re möch­te ich Ihnen, lie­ber Erich Hon­ne­cker, ger­ne überreichen !

HONNECKER  Dan­ke recht herz­lich ! “Gitar­ren statt Knar­ren” – voll­kom­men rich­tig ! Wei­ter­hin viel Erfolg, ja ! Und Auf Wie­der­se­hen in der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Republik !

SCHALT- UND KEYBOARD-GERÄUSCHE


Wolf­gang Weese (SCHREIBT) “Udo Lin­den­berg trifft auf sei­nen Freund Hon­ne­cker” … So …

Spei­chern … Okay ! 

(…)

STUDIOKOMPLEX BERLIN-NALEPASTRASSE

Peter Kainz   Wir sind hier im Stu­dio vom “Hör­spiel 2”, gebaut für die dama­li­ge jun­ge DDR … 

Autor  Ber­lin-Nal­e­pa­stras­se, jetzt privatisiert.

Peter Kainz   Alles ana­log – da gab ’s noch kei­ne Com­pu­ter. Vie­le Band­ma­schi­nen — die lie­fen. Und hier ist sozu­sa­gen das ana­lo­ge Zeit­al­ter dann mit der Wen­de auch vor­bei­ge­gan­gen. Heut­zu­ta­ge arbei­ten wir natür­lich auch mit Com­pu­tern. Haben natür­lich – und das ist unser Vor­teil – die Räu­me wei­ter­hin zur Verfügung. 

SCHRITTE / KAINZ SCHLÄGT KURZ DIE TASTEN EINES FLÜGELS AN

Peter Kainz  Auch zu bespie­len: ein Gang … Und wenn wir jetzt lau­fen, lau­fen wir echt – ohne, dass wir auf der Stel­le gehen. Wir gehen mal !

IN DIE SCHRITTE MISCHEN SICH SENDER-KENNUNGEN UND PAUSENZEICHEN DER VERSCHIEDENEN DDR-RUNDFUNKPROGRAMME / BANDLAUFGERÄUSCHE / EINIGE TAKTE DER DDR-HYMNE / SPRECHCHÖRE (“Sta­si raus ! Sta­si raus !”) / STIMMEN („Die müss­ten an die Müll­kip­pen!” – “Wir haben gewusst, aber so viel haben wir nicht gewusst !” – „Das ist Wahnsinn !”)

H. K.   Ich glau­be, hier haben auf dem Gelän­de mal etli­che Tau­send Leu­te gearbeitet …

Peter Kainz  3000 – davon waren 2000 Jour­na­lis­ten und Redak­teu­re und unge­fähr um die Tau­send Techniker.

SCHRITTE / TÜRGERÄUSCH / VERÄNDERTE AKUSTIK (STIMMENGEWIRR: “Da lach’ ich ja … Das sind Rie­sen­un­ter­schie­de in einem Musik­stück … Das ist töd­lich vom Ästhe­tisch-Künst­le­ri­schen !”

Autor   Im Regie­raum: Prak­ti­ker des DDR-Rund­funks — und des ana­lo­gen Zeit­al­ters: Peter, Andre­as, Hei­de, Jür­gen, Wolf­gang. Auch Ton-Inge­nieur Stein­ke, frü­her Direk­tor im Rund­funk­tech­ni­schen Zen­tral­amt, Ber­lin-Adlers­hof. Alte Hasen.

Ger­hard Stein­ke  Als ich anfing beim Rund­funk vor 60 Jah­ren, da hat­ten wir nur ein wei­ßes Band … Und ich hab nicht gewusst bei dem Band, was sich abspiel­te nachts im Kon­troll­raum – ist kaum 60 Jah­re her, 1948  — da hab ich ein Band rück­wärts abge­spielt;  hab mit der Assis­ten­tin (die war ja so hin­rei­ßend) getanzt im Kon­troll­raum und nicht gemerkt, dass das Band rück­wärts läuft, weil ich zu lei­se abge­hört hab … Da rief Gott-sei-Dank der Inten­dant an …  GELÄCHTER

Peter Kainz  Eigent­lich ist die Ent­wick­lung par­al­lel gelau­fen. Die Spra­che der Tech­ni­ker Ost und der Tech­ni­ker West – hab ich gleich nach der Wen­de gemerkt – ist die glei­che gewe­sen. Nur … wir haben Wickel­kern oder Boby gesagt …

H. K.  “Cut­tern” und “Cut­ten” 

Stim­men  Cut­ten … Cuttern …

Peter Kainz   “Cut­tern” war eine Eigen­ent­wick­lung der DDR.

Jür­gen Mei­nel   Wir haben “Köt­tern” gesagt …

Peter Kainz  Wel­che Inhal­te ver­mit­telt wur­den, ist ’ne ande­re Geschichte 

(…)

SCHREI EINER HYÄNE (AUS: PETER LEONHARD BRAUN, “HYÄNEN”) 

Autor  So unge­fähr wird es geklun­gen haben im Sen­der Frei­es Ber­lin, als Peter Leon­hard Braun sein “Hyänen”-Feature pro­du­zier­te, 1971. 


BANDLAUF- UND ANDERE ARBEITSGERÄUSCHE / ERZÄHLER (GÜNTER KÖNIG): “Dann wirft sie es auf den Rücken und drückt ihren Kopf tief in den auf­ge­ris­se­nen Bauch” / ÄCHZEN UND STÖHNEN DES GERISSENEN KÄLBCHENS

P. L. Braun   Auf bis zu acht Maschi­nen sind Ton­bän­der gela­gert, die nun nach einem bestimm­ten Kon­zept mit einem Aus­druck, der gesucht wird, aber auch mit einer inne­ren Melo­die gefah­ren wer­den. Und wenn wir dann anfin­gen und alles ein­ge­rich­tet war, und jeder muss­te ein, zwei Maschi­nen bedie­nen – und das ist schwer, dass das sich dann zusam­men­fügt in einen Gesamt­aus­druck — dann sag­ten wir: “Bal­lett !” Und das war toll ! Das ist für mich eigent­lich im Rück­blick die beglü­ckends­te Zeit mei­nes Arbei­tens gewesen. 

H. K.   “Bal­lett” … Es hat sich im Raum abge­spielt, phy­sisch – da waren Men­schen, die haben sich bewegt von Maschi­ne zu Maschi­ne, auf den Ein­satz eines Regis­seurs hin oder des Ton­in­ge­nieurs … Man muss sich das ja vor­stel­len wie eine Land­schaft mit Men­schen, so ein Studio. 

Ranz­in­ger Eine dunk­le Land­schaft. Es war ja auch immer abge­dun­kelt – also schon auch die­se Nacht­si­tua­ti­on, die etwas macht mir Dir, die ich heu­te noch schät­ze ! Drum­her­um war sozu­sa­gen alles still, es war dun­kel, es war eine sehr unge­wöhn­li­che Art von Kon­zen­tra­ti­on. Es gab nichts mehr rechts und links. Es gab nur noch den Blick­kon­takt zur Tech­ni­ke­rin oder zum Ton­in­ge­nieur oder Regis­seur … Es war sozu­sa­gen wie auf ’ner Insel, ver­schwo­ren, auf ein­an­der bezo­gen. Und das sind schon ganz star­ke Bil­der, ja …

Also mir fehlt ’s ! Ich hal­te nicht viel von die­sen neu­en Ent­wick­lun­gen ! Weil ich glau­be, wir ver­lie­ren zu viel !

H. K.  Was fehlt ?

Ranz­in­ger  Eben Lei­den­schaft … Bren­nen … Etwas wollen … 

H. K. im Stu­dio  Es waren ja nicht nur die magi­schen Momen­te im Stu­dio … Es gab ja auch Augen­bli­cke, wo man sich gegen­sei­tig blo­ckiert hat !

Die­ter Groß­mann  Chaos …

H. K.  Das pas­siert über­all. Aber das gab ’s eben auch !

Ranz­in­ger  Es hat sehr gemen­schelt ! Das muss man auch mögen, dass es oft­mals rich­tig bis an die Kan­te geht und dass da natür­lich — na ja Lie­be, Tod und Leidenschaft…

H. K.  Wenn du ’n paar Men­schen zusam­men­sperrst eine Woche lang mit einem Projekt …

Ranz­in­ger  Das kann natür­lich auch die Gefäng­nis-Situa­ti­on sein ! (…)

EIN MANN KÄMPFT MIT SEINEM TEXT (JUNI 1988)

SPRECHER: Potem­kin … Ein Che­va­lier der alten Schu­le war Gri­go­ri Ser­gej Sal­ti­kow … Sal­ti­kow und Sta­nis­law Poni­a­tow­skij … Gri­go­ri Gri­go­rit­sch Orlow … jaja … Ich ver­such ’s ! Hof­fent­lich­komm’ ich da gut rüber ! … Ein Che­va­lier der alten Schu­le war Gri­go­ri Gri­go … Oiii, Scheiß ! … … Als sie Anfang Dezem­ber ’74 mit Paul Petro­witsch, dem Lie­bes­an­den­ken an Ser­gej Sal­ti­kow, in den Wehen lag, erhielt … … Fol­gen­des … So, ich pro­bier ’s mal ! MANUSKRIPT-RASCHELN … Rims­kij Kar­sak … (DIALOG MIT DEM REGISSEUR) Also doch “o” … Okay ! REGISSEUR: Nur die letz­ten bei­den Zei­len mit einem rich­ti­gen Potem­kin … MANUSKRIP-TRASCHELN … Rim­s­ki Kar­sak … boaaah !  REGISSEUR: Rims­kij Kor­saków …Nein – Kór­sa­kow ! Ver­flixt und zugenäht !

SPRECHER LACHT Das sieht man, wie schwer das ist … MANUSKRIPT-RASCHELN

Die­ter Gross­mann  Im Stu­dio waren wir zwei Wochen. Und zwei Wochen heißt: fünf Tage die Woche …

P. L. Braun … bis zwei Uhr. Und dann gin­gen wir hin­ter­her – auch schöns­te Stun­den mei­nes Lebens – in eine Knei­pe und rede­ten noch, und da muss­te in der Knei­pe als ers­tes immer die Musik aus­ge­schal­tet wer­den. Wir konn­ten alle nicht mehr hören.

Die­ter Gross­mann  Manch­mal ist dann einer noch früh zum Bäcker gegan­gen und hat die Bröt­chen geholt. 

(…)

STUDIOHÖRSPIEL 2”, BERLIN-NALEPASTRASSE

Jür­gen Mei­nel  Was das Schö­ne ist bei der Digi­tal­tech­nik: Es kann kei­ne Kle­be­stel­le mehr rei­ßen !  (GELÄCHTER) Als ich anfing, da hat­ten wir noch die ver­ni­ckel­ten Kitt-Töpfchen … 

H. K.  Was war das ?

Ger­hard Stein­ke  … wo der Ace­ton-Kle­ber, die Flüs­sig­keit, drin war. 

Mei­nel  Selbst als Inge­nieur, wenn man hier anfing, muss­te man von der Pie­ke auf ‘ran und muss­te erst mal cut­tern ler­nen. So die ers­ten Cut­ter-Stel­len – wenn ich mich da dran erin­ne­re, wie die aussahen …

Peter Kainz  Du sprichst aber von der Zeit – so fünfziger …

Ger­hard Stein­ke  50er Jahre …

Kainz  Ich hab 1969 ange­fan­gen, da gab es schon das BASF-Kle­be­band. Muss­te man für jedes Kle­be­band unter­schrei­ben, dass ich ein Kle­be­band erhal­ten habe.

H. K.  Gab ’s das hier auch ?

Kainz   Ja ! Da gab ’s ein Büch­lein, wo man das unter­schrei­ben musste.

Stein­ke  Muss­te impor­tiert werden. 

Mei­nets­ber­ger  Band spa­ren … In der DDR: “Band spa­ren !” Ihr kennt das ja alle! 

Mei­nel  Aber eins war immer mit hun­dert­pro­zen­ti­ger Sicher­heit: Wenn eine Cut­ter­stel­le auf­ging – und das waren ja nun 76,2 Zen­ti­me­ter — das war ein Höl­len­tem­po … Und die­ses Band, das wie eine Schlan­ge über den Metallteller …

Ande­re Stim­me  (IMITIERT) pt … pt … pt … pt … Schschscht …

SEUFZEN IN DER RUNDE  Oh ja …

Mei­nel  Das war so scharf das Geräusch … Da stob alles aus­ein­an­der – rin in den Regie­raum … Das pas­sier­te aber manch­mal so nach ein, zwei oder drei Minu­ten, man konn­te ja nicht anhal­ten ! Jetzt stand man breit­bei­nig an der Maschi­ne, hat die­ses Band run­ter­ge­las­sen, und dann lie­fen eben noch 18 Minu­ten oder 17 oder 15 Minu­ten nach unten. Das war ein Rie­sen­hau­fen Acetat-Band …

H. K.  Heuhaufen !

Stein­ke  Ja, so sah es aus ! 

Peter Kainz  Es gab ja dann …

Stein­ke  Kata­stro­phen­bob­by – eine inter­na­tio­na­le Erfindung !

STIMMENGEWIRR / GELÄCHTER

Autor   “Kata­stro­pen­bob­by” – “Schwal­ben­schwanz” – “Kopf­sche­re” – “Kon­takt­wi­ckel” – “Der  blu­ti­ge Schnitt – vor­ne hart, hin­ten weich” … Man hat das Band ja durch­ge­schnit­ten. Das war Handwerk !

(…)

IM STUDIO BUTZMANN, BERLIN-KREUZBERG / SCHALT- UND ANTRIEBSGERÄUSCH EINES TONBANDGERÄTS

Autor   Ber­lin-Kreuz­berg, Hin­ter­haus, fünf­ter Stock. Anwe­send die Radio­ma­cher Boh­len, Lis­sek, Butzmann.

Micha­el Lis­sek  Das, was der Punk immer woll­te – “Jeder kann Musik machen” –,  ist jetzt wahr gewor­den. Man kann jetzt mit ganz wenig Geld groß­ar­ti­ge Pro­duk­tio­nen machen ! Man kann sie sogar publi­zie­ren, man kann sie sogar ver­kau­fen – alles für nur wenig Geld im Internet …

Boh­len  … für wenig Geld pro­du­zie­ren und für wenig Geld ver­kau­fen … (GELÄCHTER)

Lis­sek   Also mir geht ’s ’n biss­chen ähn­lich wie Her­mann Boh­len, dass ich gar nicht ana­log pro­du­ziert habe. Ich kenn ’s nur digi­tal. Ich habe Ana­log-Pro­duk­tio­nen mit­be­kom­men, auch mit Regis­seu­ren, auch mit dem wun­der­ba­ren Team. Zu der Zeit hät­te ich kein Regis­seur sein kön­nen, heu­te kann ich ’s sein. Die­ser Ges­tus des Feld­herrn, der alle Ton­bän­der unter sich hat und die Cut­te­rin auch noch und den Ton-Inge­nieur – den find’ ich uner­träg­lich. Und ich fin­de, das hört man vie­len der dama­li­gen Stü­cke auch an. Also – Regis­seu­re im Stu­dio, die da ihren Tanz auf­füh­ren – das ist nicht mei­ne Sache. Find’ ich irgend­wie komisch. Da bas­te­le ich lie­ber vor mich hin und wie­der­ho­le noch tau­send­mal in Zehn­tel­se­kun­den und mach das für mich alleine. 

H. K. Aber es gab sicher auch ande­re, die fähig waren, ein Team wirk­lich zusam­men zu brin­gen zu die­sen magi­schen Momen­ten, wo alle sag­ten: Das haben wir zusam­men gemacht und das war ’s !

Lis­sek  Die magi­schen Momen­te gibt ’s immer noch.

Boh­len   Wenn ’s flutscht ! (GELÄCHTER)  Ich bin froh, dass es die Magie nicht gibt ! Ich bin froh, dass es die­sen Appa­rat gibt !

H. K.  Jaja – das sind Nul­len und Einsen …

SPUL-GERÄUSCH UND AUSLAUFENDES TONBAND

(…)

STUDIO BERLIN-NALEPASTRASSE

Ger­hard Stein­ke  Der Anfang der Digi­tal­tech­nik war sehr mühselig !

Hei­de Schwo­chow  Die Ton­in­ge­nieu­re hat­ten nicht genug Zeit in der Regel, sich vor­zu­be­rei­ten. Also saßen die da vor die­sem Moni­tor mit ange­spann­ten Schul­tern, mit einer Arsch-Angst — “Was mach ich jetzt ? O Gott !” Da hatt’ ich das Gefühl: Das ist jetzt kei­ne Regie­ar­beit, son­dern du bist jetzt ein­fach Psy­cho­the­ra­peu­tin, du mußt jetzt ruhig sein …

Peter Kainz  Genau ! Da sind so vie­le Tas­ten. Und wenn du jetzt eine Tas­te falsch drückst, ist alles weg.

Moni­ka Stef­fens  Ich war ja wirk­lich nicht mehr ganz jung, als die Digi­tal­tech­nik hier Ein­zug gehal­ten hat. Aber ich fand das so span­nend, dass man plötz­lich die Musik auf ‘m Bild­schirm sehen kann ! Und dass man genau den Ton …

H. K.  In Farbe !

Mol­der   Ein schö­ner Kla­ri­net­ten­ton sieht schon schön aus ! 

Lis­sek   Wie zum Teu­fel soll man arbei­ten, ohne was zu sehen ?

Butz­mann  Ich kann ’s gar nicht anders. Man hat­te schon immer das Bedürf­nis gehabt, dass man sieht, was man schneidet !

Niko­laus Löwe  Also, wenn ich mir angu­cke, wie teil­wei­se auf Pres­se­kon­fe­ren­zen die Leu­te rum­lau­fen, sich ihre O‑Töne holen und dann das in irgend ’nem Win­kel mal eben auf ihrem Lap­top zusam­men­schnei­den, wo sie gar nichts hören kön­nen, son­dern ’s nur sehen… 

H. K.  Aber dass das nicht mehr stört, hängt glaub’ ich auch mit dem Sur­fen im Inter­net zusam­men, wo du eben nicht mehr Zusam­men­hän­ge erlebst. Du klickst etwas an, schon ist es da. Und dadurch geht die­ser Sinn für ’ne Ent­wick­lung von Gedan­ken ver­lo­ren. Alles gleich laut, alles gleich präsent …

Kainz  Klack, klack, klack …

Wil­helm Schlemm  Zack, zack, zack …

Mathi­as Hel­ling  Mas­se, Men­ge, schnell, alles sofort und gleich und im Überfluss !

Schlemm  Das ist eine Erschei­nung in unse­rer Gesell­schaft. wo du natür­lich mit qua­li­ta­ti­ven Maß­stä­ben nix mehr anfan­gen kannst ! Ich find ’s gräss­lich! Man kommt ja gar nicht zur Ruhe !

Stein­ke  Ist aber nicht Schuld der Digi­tal­tech­nik ! Der Pro­zess, die Team­ar­beit ist anders gewor­den – oder die Ein­stel­lung zum Rundfunkprogramm.

STIMMENGEWIRR

Mei­nets­ber­ger   Und der Band­schlupf fehlt ! Weißt du – der Bandschlupf …

H. K.  Der Band­schlupf ?

Mei­nets­ber­ger   Ja ! Oder das Anfah­ren einer Maschi­ne. Oder der Verzögerer …

H. K.   Die Pau­sen !

Mei­nets­ber­ger   Die Pausen …

Mei­nel  Durch die Digi­tal­tech­nik ist die gan­ze Geschich­te kalt gewor­den ! Ohne Seele ! 

(…)

Butz­mann  Also ich bin froh, dass ich die­se Appa­ra­te hab’. Aber ich den­ke line­ar. Irgend­was fängt an und irgend­wo hört ’s auf und zwi­schen­drin pas­siert was !

Micha­el Lis­sek  Ich schrei­be halt mit die­sen Tönen. Das ist wie ’n Schus­ter, der beginnt damit, die Kuh zu schlach­ten, um das Leder zu gewin­nen und am Ende einen fer­ti­gen Schuh zu haben. Was schö­ne­res gibt ’s nicht !

H. K.  Ich kann wirk­lich jetzt allein mei­ne Sen­dung machen !

P. L. Braun  Aber, mein Lie­ber  — ich bin auch voll mei­nem eige­nen Spek­trum an Feh­lern ausgesetzt !

Schlemm  Die­ser Mann geht die Gefahr ein, auch vor sei­nem tol­len Appa­rat zu vereinsamen.

H. K.   Ein­sam war ich schon vor­her als Autor !  (GELÄCHTER) 

Stein­ke  Ist doch unab­hän­gig, ob digi­tal oder analog!

Hei­de Schwo­chow   Nee, nee !

Mei­nets­ber­ger  Eben nicht – die Belas­tung ist jetzt anders !

Mol­der  Ich fin­de mei­nen Beruf manch­mal sehr, sehr, sehr anstren­gend ! Manch­mal grenzt es an Fol­ter, und ich mag es über­haupt gar nicht ! Manch­mal komm’ ich hier ‘raus und bin kurz davor, ver­rückt zu wer­den ! Das kann ich dir wirk­lich sagen ! Bei aller Verklärung …

Mei­nets­ber­ger  Da kom­men wir jetzt zu dem neu­en Arbeits­bild die­ser armen, vor dem Moni­tor sit­zen­den Inter­faces ! Die nur noch so-zu-sagen ver­krampf­ten Nackens in den Com­pu­ter star­ren. Wir haben nach dem Gehör geschnit­ten. Jetzt guckt alles in die­sen Com­pu­ter ! Ich weiß nicht wo das endet ! Es gibt ja Leu­te, die haben schon in jun­gen Jah­ren Hör­stür­ze bekom­men, Ner­ven­zu­sam­men­brü­che. Das kann kei­ner 30 Jah­re machen ! 

Mei­nel   Also ich bin ja nun Ton-Ing a. D. Ich möch­te wirk­lich sagen: Wenn ich das heu­te so höre…

Kainz  Du wärst gegangen !

Mei­nel   Was hat der säch­si­sche König gesagt ? “Macht doch euren Dreck  alleene !“

H. K. Das ist schon ein Pro­blem, wenn die Lei­den­schaft brach liegt …

Ranz­in­ger  Na, ich werd ’s nicht mehr wei­ter machen kön­nen. Das ist ganz ein­fach so. Ich bin kein Mensch mit gebrems­tem Schaum … Das geht nicht ! Das bin ich nicht ! Irgend­wann muss man dann sagen: Okay – das ist nicht nur ’n Job ! Also dann geh ich lie­ber put­zen oder mach’ was ande­res! Aber dafür leb’ ich ! 

H. K.  Die Digi­ta­li­sie­rung gibt den Takt an …

Löwe  Und was das jetzt bedeu­tet für den Rund­funk: Das ist ein Erdbeben !

P. L. Braun  Also – das sind für mich kei­ne Argu­men­te. Wer auf­bre­chen und sich für etwas schla­gen will, kann es genau so heu­te tun wie damals. Der Kern ist eine Idee oder eine Visi­on, und da geh ich raus und rea­li­sie­re das ! Da musst du schon die­se Beses­sen­heit mit­brin­gen, mein lie­ber Kollege ! 

(…)

VOR EINEM HINTERGRUND AUS ARCHIV-MATERIALIEN UND ARBEITSGERÄUSCHEN:

Moni­ka Stef­fens  Zum Wohl !

Kas­par Woll­heim  Auf die ana­lo­ge und die digi­ta­le Zeit !

Wal­traud Fri­cke  Ach, wir hat­ten auch ’ne schö­ne Zeit !

GLÄSERKLINGEN

H. K.  Ich glaub’, mei­ne Fest­plat­te brennt schon …

Ger­hard Stein­ke  Kann gelöscht werden !

Peter Kainz  Ich hab zur Sicher­heit noch ’ne DAT mit­lau­fen lassen !

Wil­helm Schlemm  Auch mit der aus­ge­buff­tes­ten Tech­nik wer­den wir die Kunst hof­fent­lich nicht tot kriegen !

H. K.  Also ich träu­me öfter mal in Spu­ren, in Ste­reo-Spu­ren. Die schneid’ ich dann auch – im Traum …

➤Fea­tures (deut­sch/­In­fo-Tex­te)