Ein Nachruf auf die Magnetbandzeit
DLF / SR 2009 (53:32)
AUSZÜGE:
AUTOR ÖFFNET EINEN BANDKARTON
Autor So … Da hätten wir also ein Magnetband … Ungefähr so groß wie
eine Langspielplatte (das schwarze Ding mit dem Loch in der Mitte – auch Vergangenheit). Der beschichtete Kunststoffstreifen ist um einen Metallkern gewickelt, den “Bobby”, und haftet auf dem Kern durch die Adhäsion der Oberflächen-Moleküle, meistens jedenfalls. Man legt das auf den sogenannten “Bandteller” … und drückt … auf “Start”.
EINSCHALT-GERÄUSCH / AKUSTISCHE ZITATE VOR EINEM HINTER-GRUND AUS INTERNATIONALEN STATIONS-KENNUNGEN
(…)
H.K. im Studio “Nachruf” – Nachruf bedeutet ja: Da gibt ’s ne Leiche, da ist was tot …
Monika Steffens Ist ja nicht ganz verkehrt …
Manfred Hock Naja — aber Nachruf heißt ja auch: Wir rufen einer Sache nach, die wir gerne eigentlich …
Waltraud Fricke … behalten hätten !
Wilhelm Schlemm Also – es war schon was !
Autor Das sind meine früheren Kollegen: Monika und Manfred, Kaspar, Niko, Dieter, Peter und Ricarda, Harry, Ralf und Tonmeister Schlemm … Manche haben in diesem Studio einen großen Teil ihres Lebens verbracht.
Monika Steffens Wenn ihr euch erinnert: Wenn man früher durch ’s Funkhaus gegangen ist — da kam überall Musik raus, oder Wort … Und überall saßen irgendwelche Teams zusammen. Heute sitzt jeder mit ‘m Kopfhörer, mit ‘m Head Set, vor seinem Bildschirm und es ist absolute Stille! Nix mehr zu hören im Funkhaus …
H.K. im Studio “Doktur Murkes gesammeltes Schweigen“
DAS DUMPFE GERÄUSCH EINES PATERNOSTERS
Autor Sie erinnern sich vielleicht an dieses Buch von Heinrich Böll. Der Paternoster dreht noch knarrend seine Runden – aufwärts, abwärts … Eine Endlos-Bandschleife, von der man abspringt zu den Büros. Oder ganz unten in die Archive.
IN DAS PATERNOSTER-GERÄUSCH MISCHEN SICH STIMMEN UND TÖNE AUS DER ARCHIVIERTEN VERGANGENHEIT
Weibliche Stimme Ah – this is London — can you hear us ? — Hallo Berlin ! — You are rolling ?
Autor Ich weiß nicht, wann wir zuerst bemerkten – Mitte der 90er Jahre vielleicht — dass die Magnetbandzeit zu Ende geht. Kein D‑Day, kein Doomsday – die Invasion der Bits und Bites vollzog sich leise, schleichend. Plötzlich Bildschirme in den Studios, hier und da. Neben den Reglern der Mix-Konsole: die Maus. Helle Flecken auf dem PVC – da standen mal die zentnerschweren Bandmaschinen. Auch ein paar Ton-Ingenieure fehlten, ab in die Frührente. Es war wie ein Sauriersterben. Fast verschliefen wir die Zeitwende vom Analogicum zum Digitalicum. Hunderttausende Kilometer Magnetband verschwanden in den Archiven – Hörspiele, Features, Musikaufnahmen …
(…)
SENDER-ARCHIV (RBB) / SCHRITTE … TÜRGERÄUSCHE …
Wolfgang Weese … Das sind die alten …
H. K. … die ganz alten Kartons …
Wolfgang Weese … die aus Moskau zurückgeführt wurden – also Furtwängler-Aufnahmen, die hier im großen Sendesaal mal gemacht wurden und zum Kriegsende nach Russland verbracht.
H. K. Als Kriegsbeute.
Wolfgang Weese Die kamen so zurück – teilweise von Mäusen angefressen, die Kartons, und auch ’n bisschen angekokelt. Aber sie wurden alle überspielt und kopiert …
H. K. Kyrillisch beschriftet …
Wolfgang Weese 1943 – mitten im Krieg.
H. K. Da stehen sie ! – Ich darf ’s mal anfassen ?
Wolfgang Weese Aber selbstverständlich.
H. K. Man traut sich kaum, das anzufassen !
Wolfgang Weese Wir machen mal eins auf …
ES ERKLINGT: JOHANNES BRAHMS, SERENADE FÜR ORCHESTER Nr.1 D‑dur, op. 11, DIRIGENT WALTER LUTZE / DARAUF:
Autor Die erste erhaltene Stereo-Tonbandaufnahme der Welt – Johannes Brahms, Serenade op. 11, D‑dur.
(…)
DIGITALISIERUNGSSTATION IM RBB
Wolfgang Weese So – ich muss jetzt mal diese Anlage kurz hochfahren …
KEYBOARD-GERÄUSCH
REPORTERIN Werden Sie denn den Großen Vorsitzenden zu Gesicht bekommen, Udo Lindenberg ?
LINDENBERG Ich treff’ in heute Abend um 19.30 Uhr in Bonn. Ich nehme teil an einem Abendessen. Und Erich, mein Freund, wird da sein.
REPORTERIN Wissen Sie denn schon, was Sie anziehen werden heute Abend ?
LINDENBERG Wir machen das ganz locker und ganz zwanglos. Keine Kleiderordnung. Ich trage Leder und Gummi, wahrscheinlich – weiß noch nicht so ganz genau. Ja nachdem. Das entscheide ich dann spontan. Eins ist doch klar: Honnecker will seinen Brieffreund Udo jetzt mal treffen. Nach all den Jahren Geflirte soll es mal zu einer Begegnung kommen …
SCHALTGERÄUSCH
Wolfgang Weese So …
H.K. Udo Lindenberg — wann war das noch mal ? Vor ’89 auf jeden Fall …
Wolfgang Weese ’87
H.K. 1987.
BANDLAUFGERÄUSCH
LINDENBERG … Und Erich, mein Freund, wird da sein …
DARAUF:
H.K. Und das geht jetzt in das System … Verschwindet irgendwo im Haus …
Wolfgang Weese Genau !
LINDENBERG … Ich trage Leder und Gummi wahrscheinlich – weiß noch nicht so ganz genau …
SCHALTGERÄUSCH
LINDENBERG Gitarren statt Knarren für eine atomwaffenfreie Welt im Jahr 2000 … Die Gitarre möchte ich Ihnen, lieber Erich Honnecker, gerne überreichen !
HONNECKER Danke recht herzlich ! “Gitarren statt Knarren” – vollkommen richtig ! Weiterhin viel Erfolg, ja ! Und Auf Wiedersehen in der Deutschen Demokratischen Republik !
SCHALT- UND KEYBOARD-GERÄUSCHE
Wolfgang Weese (SCHREIBT) “Udo Lindenberg trifft auf seinen Freund Honnecker” … So …
Speichern … Okay !
(…)
STUDIOKOMPLEX BERLIN-NALEPASTRASSE
Peter Kainz Wir sind hier im Studio vom “Hörspiel 2”, gebaut für die damalige junge DDR …
Autor Berlin-Nalepastrasse, jetzt privatisiert.
Peter Kainz Alles analog – da gab ’s noch keine Computer. Viele Bandmaschinen — die liefen. Und hier ist sozusagen das analoge Zeitalter dann mit der Wende auch vorbeigegangen. Heutzutage arbeiten wir natürlich auch mit Computern. Haben natürlich – und das ist unser Vorteil – die Räume weiterhin zur Verfügung.
SCHRITTE / KAINZ SCHLÄGT KURZ DIE TASTEN EINES FLÜGELS AN
Peter Kainz Auch zu bespielen: ein Gang … Und wenn wir jetzt laufen, laufen wir echt – ohne, dass wir auf der Stelle gehen. Wir gehen mal !
IN DIE SCHRITTE MISCHEN SICH SENDER-KENNUNGEN UND PAUSENZEICHEN DER VERSCHIEDENEN DDR-RUNDFUNKPROGRAMME / BANDLAUFGERÄUSCHE / EINIGE TAKTE DER DDR-HYMNE / SPRECHCHÖRE (“Stasi raus ! Stasi raus !”) / STIMMEN („Die müssten an die Müllkippen!” – “Wir haben gewusst, aber so viel haben wir nicht gewusst !” – „Das ist Wahnsinn !”)
H. K. Ich glaube, hier haben auf dem Gelände mal etliche Tausend Leute gearbeitet …
Peter Kainz 3000 – davon waren 2000 Journalisten und Redakteure und ungefähr um die Tausend Techniker.
SCHRITTE / TÜRGERÄUSCH / VERÄNDERTE AKUSTIK (STIMMENGEWIRR: “Da lach’ ich ja … Das sind Riesenunterschiede in einem Musikstück … Das ist tödlich vom Ästhetisch-Künstlerischen !”
Autor Im Regieraum: Praktiker des DDR-Rundfunks — und des analogen Zeitalters: Peter, Andreas, Heide, Jürgen, Wolfgang. Auch Ton-Ingenieur Steinke, früher Direktor im Rundfunktechnischen Zentralamt, Berlin-Adlershof. Alte Hasen.
Gerhard Steinke Als ich anfing beim Rundfunk vor 60 Jahren, da hatten wir nur ein weißes Band … Und ich hab nicht gewusst bei dem Band, was sich abspielte nachts im Kontrollraum – ist kaum 60 Jahre her, 1948 — da hab ich ein Band rückwärts abgespielt; hab mit der Assistentin (die war ja so hinreißend) getanzt im Kontrollraum und nicht gemerkt, dass das Band rückwärts läuft, weil ich zu leise abgehört hab … Da rief Gott-sei-Dank der Intendant an … GELÄCHTER
Peter Kainz Eigentlich ist die Entwicklung parallel gelaufen. Die Sprache der Techniker Ost und der Techniker West – hab ich gleich nach der Wende gemerkt – ist die gleiche gewesen. Nur … wir haben Wickelkern oder Boby gesagt …
H. K. “Cuttern” und “Cutten”
Stimmen Cutten … Cuttern …
Peter Kainz “Cuttern” war eine Eigenentwicklung der DDR.
Jürgen Meinel Wir haben “Köttern” gesagt …
Peter Kainz Welche Inhalte vermittelt wurden, ist ’ne andere Geschichte
(…)
SCHREI EINER HYÄNE (AUS: PETER LEONHARD BRAUN, “HYÄNEN”)
Autor So ungefähr wird es geklungen haben im Sender Freies Berlin, als Peter Leonhard Braun sein “Hyänen”-Feature produzierte, 1971.
BANDLAUF- UND ANDERE ARBEITSGERÄUSCHE / ERZÄHLER (GÜNTER KÖNIG): “Dann wirft sie es auf den Rücken und drückt ihren Kopf tief in den aufgerissenen Bauch” / ÄCHZEN UND STÖHNEN DES GERISSENEN KÄLBCHENS
P. L. Braun Auf bis zu acht Maschinen sind Tonbänder gelagert, die nun nach einem bestimmten Konzept mit einem Ausdruck, der gesucht wird, aber auch mit einer inneren Melodie gefahren werden. Und wenn wir dann anfingen und alles eingerichtet war, und jeder musste ein, zwei Maschinen bedienen – und das ist schwer, dass das sich dann zusammenfügt in einen Gesamtausdruck — dann sagten wir: “Ballett !” Und das war toll ! Das ist für mich eigentlich im Rückblick die beglückendste Zeit meines Arbeitens gewesen.
H. K. “Ballett” … Es hat sich im Raum abgespielt, physisch – da waren Menschen, die haben sich bewegt von Maschine zu Maschine, auf den Einsatz eines Regisseurs hin oder des Toningenieurs … Man muss sich das ja vorstellen wie eine Landschaft mit Menschen, so ein Studio.
Ranzinger Eine dunkle Landschaft. Es war ja auch immer abgedunkelt – also schon auch diese Nachtsituation, die etwas macht mir Dir, die ich heute noch schätze ! Drumherum war sozusagen alles still, es war dunkel, es war eine sehr ungewöhnliche Art von Konzentration. Es gab nichts mehr rechts und links. Es gab nur noch den Blickkontakt zur Technikerin oder zum Toningenieur oder Regisseur … Es war sozusagen wie auf ’ner Insel, verschworen, auf einander bezogen. Und das sind schon ganz starke Bilder, ja …
Also mir fehlt ’s ! Ich halte nicht viel von diesen neuen Entwicklungen ! Weil ich glaube, wir verlieren zu viel !
H. K. Was fehlt ?
Ranzinger Eben Leidenschaft … Brennen … Etwas wollen …
H. K. im Studio Es waren ja nicht nur die magischen Momente im Studio … Es gab ja auch Augenblicke, wo man sich gegenseitig blockiert hat !
Dieter Großmann Chaos …
H. K. Das passiert überall. Aber das gab ’s eben auch !
Ranzinger Es hat sehr gemenschelt ! Das muss man auch mögen, dass es oftmals richtig bis an die Kante geht und dass da natürlich — na ja Liebe, Tod und Leidenschaft…
H. K. Wenn du ’n paar Menschen zusammensperrst eine Woche lang mit einem Projekt …
Ranzinger Das kann natürlich auch die Gefängnis-Situation sein ! (…)
EIN MANN KÄMPFT MIT SEINEM TEXT (JUNI 1988)
SPRECHER: Potemkin … Ein Chevalier der alten Schule war Grigori Sergej Saltikow … Saltikow und Stanislaw Poniatowskij … Grigori Grigoritsch Orlow … jaja … Ich versuch ’s ! Hoffentlichkomm’ ich da gut rüber ! … Ein Chevalier der alten Schule war Grigori Grigo … Oiii, Scheiß ! … … Als sie Anfang Dezember ’74 mit Paul Petrowitsch, dem Liebesandenken an Sergej Saltikow, in den Wehen lag, erhielt … … Folgendes … So, ich probier ’s mal ! MANUSKRIPT-RASCHELN … Rimskij Karsak … (DIALOG MIT DEM REGISSEUR) Also doch “o” … Okay ! REGISSEUR: Nur die letzten beiden Zeilen mit einem richtigen Potemkin … MANUSKRIP-TRASCHELN … Rimski Karsak … boaaah ! REGISSEUR: Rimskij Korsaków …Nein – Kórsakow ! Verflixt und zugenäht !
SPRECHER LACHT Das sieht man, wie schwer das ist … MANUSKRIPT-RASCHELN …
Dieter Grossmann Im Studio waren wir zwei Wochen. Und zwei Wochen heißt: fünf Tage die Woche …
P. L. Braun … bis zwei Uhr. Und dann gingen wir hinterher – auch schönste Stunden meines Lebens – in eine Kneipe und redeten noch, und da musste in der Kneipe als erstes immer die Musik ausgeschaltet werden. Wir konnten alle nicht mehr hören.
Dieter Grossmann Manchmal ist dann einer noch früh zum Bäcker gegangen und hat die Brötchen geholt.
(…)
STUDIO “HÖRSPIEL 2”, BERLIN-NALEPASTRASSE
Jürgen Meinel Was das Schöne ist bei der Digitaltechnik: Es kann keine Klebestelle mehr reißen ! (GELÄCHTER) Als ich anfing, da hatten wir noch die vernickelten Kitt-Töpfchen …
H. K. Was war das ?
Gerhard Steinke … wo der Aceton-Kleber, die Flüssigkeit, drin war.
Meinel Selbst als Ingenieur, wenn man hier anfing, musste man von der Pieke auf ‘ran und musste erst mal cuttern lernen. So die ersten Cutter-Stellen – wenn ich mich da dran erinnere, wie die aussahen …
Peter Kainz Du sprichst aber von der Zeit – so fünfziger …
Gerhard Steinke 50er Jahre …
Kainz Ich hab 1969 angefangen, da gab es schon das BASF-Klebeband. Musste man für jedes Klebeband unterschreiben, dass ich ein Klebeband erhalten habe.
H. K. Gab ’s das hier auch ?
Kainz Ja ! Da gab ’s ein Büchlein, wo man das unterschreiben musste.
Steinke Musste importiert werden.
Meinetsberger Band sparen … In der DDR: “Band sparen !” Ihr kennt das ja alle!
Meinel Aber eins war immer mit hundertprozentiger Sicherheit: Wenn eine Cutterstelle aufging – und das waren ja nun 76,2 Zentimeter — das war ein Höllentempo … Und dieses Band, das wie eine Schlange über den Metallteller …
Andere Stimme (IMITIERT) pt … pt … pt … pt … Schschscht …
SEUFZEN IN DER RUNDE Oh ja …
Meinel Das war so scharf das Geräusch … Da stob alles auseinander – rin in den Regieraum … Das passierte aber manchmal so nach ein, zwei oder drei Minuten, man konnte ja nicht anhalten ! Jetzt stand man breitbeinig an der Maschine, hat dieses Band runtergelassen, und dann liefen eben noch 18 Minuten oder 17 oder 15 Minuten nach unten. Das war ein Riesenhaufen Acetat-Band …
H. K. Heuhaufen !
Steinke Ja, so sah es aus !
Peter Kainz Es gab ja dann …
Steinke Katastrophenbobby – eine internationale Erfindung !
STIMMENGEWIRR / GELÄCHTER
Autor “Katastropenbobby” – “Schwalbenschwanz” – “Kopfschere” – “Kontaktwickel” – “Der blutige Schnitt – vorne hart, hinten weich” … Man hat das Band ja durchgeschnitten. Das war Handwerk !
(…)
IM STUDIO BUTZMANN, BERLIN-KREUZBERG / SCHALT- UND ANTRIEBSGERÄUSCH EINES TONBANDGERÄTS
Autor Berlin-Kreuzberg, Hinterhaus, fünfter Stock. Anwesend die Radiomacher Bohlen, Lissek, Butzmann.
Michael Lissek Das, was der Punk immer wollte – “Jeder kann Musik machen” –, ist jetzt wahr geworden. Man kann jetzt mit ganz wenig Geld großartige Produktionen machen ! Man kann sie sogar publizieren, man kann sie sogar verkaufen – alles für nur wenig Geld im Internet …
Bohlen … für wenig Geld produzieren und für wenig Geld verkaufen … (GELÄCHTER)
Lissek Also mir geht ’s ’n bisschen ähnlich wie Hermann Bohlen, dass ich gar nicht analog produziert habe. Ich kenn ’s nur digital. Ich habe Analog-Produktionen mitbekommen, auch mit Regisseuren, auch mit dem wunderbaren Team. Zu der Zeit hätte ich kein Regisseur sein können, heute kann ich ’s sein. Dieser Gestus des Feldherrn, der alle Tonbänder unter sich hat und die Cutterin auch noch und den Ton-Ingenieur – den find’ ich unerträglich. Und ich finde, das hört man vielen der damaligen Stücke auch an. Also – Regisseure im Studio, die da ihren Tanz aufführen – das ist nicht meine Sache. Find’ ich irgendwie komisch. Da bastele ich lieber vor mich hin und wiederhole noch tausendmal in Zehntelsekunden und mach das für mich alleine.
H. K. Aber es gab sicher auch andere, die fähig waren, ein Team wirklich zusammen zu bringen zu diesen magischen Momenten, wo alle sagten: Das haben wir zusammen gemacht und das war ’s !
Lissek Die magischen Momente gibt ’s immer noch.
Bohlen Wenn ’s flutscht ! (GELÄCHTER) Ich bin froh, dass es die Magie nicht gibt ! Ich bin froh, dass es diesen Apparat gibt !
H. K. Jaja – das sind Nullen und Einsen …
SPUL-GERÄUSCH UND AUSLAUFENDES TONBAND
(…)
STUDIO BERLIN-NALEPASTRASSE
Gerhard Steinke Der Anfang der Digitaltechnik war sehr mühselig !
Heide Schwochow Die Toningenieure hatten nicht genug Zeit in der Regel, sich vorzubereiten. Also saßen die da vor diesem Monitor mit angespannten Schultern, mit einer Arsch-Angst — “Was mach ich jetzt ? O Gott !” Da hatt’ ich das Gefühl: Das ist jetzt keine Regiearbeit, sondern du bist jetzt einfach Psychotherapeutin, du mußt jetzt ruhig sein …
Peter Kainz Genau ! Da sind so viele Tasten. Und wenn du jetzt eine Taste falsch drückst, ist alles weg.
Monika Steffens Ich war ja wirklich nicht mehr ganz jung, als die Digitaltechnik hier Einzug gehalten hat. Aber ich fand das so spannend, dass man plötzlich die Musik auf ‘m Bildschirm sehen kann ! Und dass man genau den Ton …
H. K. In Farbe !
Molder Ein schöner Klarinettenton sieht schon schön aus !
Lissek Wie zum Teufel soll man arbeiten, ohne was zu sehen ?
Butzmann Ich kann ’s gar nicht anders. Man hatte schon immer das Bedürfnis gehabt, dass man sieht, was man schneidet !
Nikolaus Löwe Also, wenn ich mir angucke, wie teilweise auf Pressekonferenzen die Leute rumlaufen, sich ihre O‑Töne holen und dann das in irgend ’nem Winkel mal eben auf ihrem Laptop zusammenschneiden, wo sie gar nichts hören können, sondern ’s nur sehen…
H. K. Aber dass das nicht mehr stört, hängt glaub’ ich auch mit dem Surfen im Internet zusammen, wo du eben nicht mehr Zusammenhänge erlebst. Du klickst etwas an, schon ist es da. Und dadurch geht dieser Sinn für ’ne Entwicklung von Gedanken verloren. Alles gleich laut, alles gleich präsent …
Kainz Klack, klack, klack …
Wilhelm Schlemm Zack, zack, zack …
Mathias Helling Masse, Menge, schnell, alles sofort und gleich und im Überfluss !
Schlemm Das ist eine Erscheinung in unserer Gesellschaft. wo du natürlich mit qualitativen Maßstäben nix mehr anfangen kannst ! Ich find ’s grässlich! Man kommt ja gar nicht zur Ruhe !
Steinke Ist aber nicht Schuld der Digitaltechnik ! Der Prozess, die Teamarbeit ist anders geworden – oder die Einstellung zum Rundfunkprogramm.
STIMMENGEWIRR
Meinetsberger Und der Bandschlupf fehlt ! Weißt du – der Bandschlupf …
H. K. Der Bandschlupf ?
Meinetsberger Ja ! Oder das Anfahren einer Maschine. Oder der Verzögerer …
H. K. Die Pausen !
Meinetsberger Die Pausen …
Meinel Durch die Digitaltechnik ist die ganze Geschichte kalt geworden ! Ohne Seele !
(…)
Butzmann Also ich bin froh, dass ich diese Apparate hab’. Aber ich denke linear. Irgendwas fängt an und irgendwo hört ’s auf und zwischendrin passiert was !
Michael Lissek Ich schreibe halt mit diesen Tönen. Das ist wie ’n Schuster, der beginnt damit, die Kuh zu schlachten, um das Leder zu gewinnen und am Ende einen fertigen Schuh zu haben. Was schöneres gibt ’s nicht !
H. K. Ich kann wirklich jetzt allein meine Sendung machen !
P. L. Braun Aber, mein Lieber — ich bin auch voll meinem eigenen Spektrum an Fehlern ausgesetzt !
Schlemm Dieser Mann geht die Gefahr ein, auch vor seinem tollen Apparat zu vereinsamen.
H. K. Einsam war ich schon vorher als Autor ! (GELÄCHTER)
Steinke Ist doch unabhängig, ob digital oder analog!
Heide Schwochow Nee, nee !
Meinetsberger Eben nicht – die Belastung ist jetzt anders !
Molder Ich finde meinen Beruf manchmal sehr, sehr, sehr anstrengend ! Manchmal grenzt es an Folter, und ich mag es überhaupt gar nicht ! Manchmal komm’ ich hier ‘raus und bin kurz davor, verrückt zu werden ! Das kann ich dir wirklich sagen ! Bei aller Verklärung …
Meinetsberger Da kommen wir jetzt zu dem neuen Arbeitsbild dieser armen, vor dem Monitor sitzenden Interfaces ! Die nur noch so-zu-sagen verkrampften Nackens in den Computer starren. Wir haben nach dem Gehör geschnitten. Jetzt guckt alles in diesen Computer ! Ich weiß nicht wo das endet ! Es gibt ja Leute, die haben schon in jungen Jahren Hörstürze bekommen, Nervenzusammenbrüche. Das kann keiner 30 Jahre machen !
Meinel Also ich bin ja nun Ton-Ing a. D. Ich möchte wirklich sagen: Wenn ich das heute so höre…
Kainz Du wärst gegangen !
Meinel Was hat der sächsische König gesagt ? “Macht doch euren Dreck alleene !“
H. K. Das ist schon ein Problem, wenn die Leidenschaft brach liegt …
Ranzinger Na, ich werd ’s nicht mehr weiter machen können. Das ist ganz einfach so. Ich bin kein Mensch mit gebremstem Schaum … Das geht nicht ! Das bin ich nicht ! Irgendwann muss man dann sagen: Okay – das ist nicht nur ’n Job ! Also dann geh ich lieber putzen oder mach’ was anderes! Aber dafür leb’ ich !
H. K. Die Digitalisierung gibt den Takt an …
Löwe Und was das jetzt bedeutet für den Rundfunk: Das ist ein Erdbeben !
P. L. Braun Also – das sind für mich keine Argumente. Wer aufbrechen und sich für etwas schlagen will, kann es genau so heute tun wie damals. Der Kern ist eine Idee oder eine Vision, und da geh ich raus und realisiere das ! Da musst du schon diese Besessenheit mitbringen, mein lieber Kollege !
(…)
VOR EINEM HINTERGRUND AUS ARCHIV-MATERIALIEN UND ARBEITSGERÄUSCHEN:
Monika Steffens Zum Wohl !
Kaspar Wollheim Auf die analoge und die digitale Zeit !
Waltraud Fricke Ach, wir hatten auch ’ne schöne Zeit !
GLÄSERKLINGEN
H. K. Ich glaub’, meine Festplatte brennt schon …
Gerhard Steinke Kann gelöscht werden !
Peter Kainz Ich hab zur Sicherheit noch ’ne DAT mitlaufen lassen !
Wilhelm Schlemm Auch mit der ausgebufftesten Technik werden wir die Kunst hoffentlich nicht tot kriegen !
H. K. Also ich träume öfter mal in Spuren, in Stereo-Spuren. Die schneid’ ich dann auch – im Traum …
➤Features (deutsch/Info-Texte)