Der nützliche Blick vom Feature-Olymp. Über die Radio-Leidenschaft eines Privatfunk-Reporters. SWR Dokublog > Radioblog vom 6. März 2015.
Der Mann heißt Toni Schmitt, ist Mitte 40 und arbeitet für 105.5Spreeradio, die “junge Berliner Radiostation mit den besten Songs aller Zeiten !” Seine Visitenkarte ist eine quietschbunte Homepage – Service links (das aktuelle Wetter, Livestream, Songsuche, Album der Woche), Shop für Schuhe und Klamotten rechts. Bisher habe ich, wenn überhaupt, Kommerzradios leise und verstohlen gehört, wie man BILD eingewickelt in der FAZ herumträgt.
Nun ist mir Toni begegnet. Die Eigenwerbung von Spreeradio aus der RTL-Group verkauft ihn als Hans Dampf in allen Gassen: Toni auf der Grünen Woche, Toni bei der Feuerwehr, Toni mit der Bundespolizei bei der Helikopter-Jagd auf Kabeldiebe. Aus dem statistischen Jahrbuch macht er eine Weihnachtsgeschichte. Er beschreibt ein aufziehendes Gewitter über Berlin. In einem “Alterungsanzug”, der nachlassende Körperkräfte vortäuscht, geht er einkaufen und schildert, wie Leute meines Alters sich dabei fühlen.
Und er liefert GESCHICHTEN, z. B. über Gülpe, “150 Einwohner – drei Straßen, 16 Straßenlaternen” –, den “dunkelsten Ort Brandenburgs”, der ein Mekka der Sterngucker werden möchte. Kein weltbewegendes Thema, gewiss – aber mit einem sicheren Gespür für alle Facetten des Mediums dargeboten – Erzählstimme, Umweltgeräusche, gut gewählte Gesprächspartner, freche Musikauswahl, Drive, griffiger Text (kein Wort zu viel) und Wortwitz; dem Format angepasst wie eine zweite Haut. Eine Erlebnisinsel im allzu bunten Tagesbegleitprogramm. Und alles in 11 Minuten und 14 Sekunden. Besser lässt sich kaum erlebte Zeit auf Sendezeit komprimieren. Kürzer ist nicht immer unbedeutend, lang nicht per se groß und wichtig.
Fast wie nebenbei hat der Reporter Schmitt das Feature entdeckt. Das dauert auch nicht Länger als 26 Minuten, geht aber durch seine persönliche Präsenz, sein erkennbares Interesse, die Subjektivität der Wahrnehmungen über das eher “objektive” Reportieren deutlich hinaus. So gelangte er als Autor des “Dudelfunks” 2014 in der Kategorie “Beste Reportage” sogar auf die Shortlist für den Deutschen Radiopreis.
Seine Arbeit “Gelobtes Land” (mit Yvonne Fricke) orientierte sich am Unwort des Jahres – “Sozialtourismus”. Er zeigte, wie Migranten aus Süd-Ost-Europa in der Heimat und bei uns leben (müssen). Und dies alles bei einer halben Woche Produktionszeit, einschließlich der Recherchen in Rumänien und Deutschland. Zuletzt erlebte der Reporter/Autor in einem Knastexperiment am eigenen Leib die Ent-Individualisierung Strafgefangener und begegnete dabei einem verurteilten Flüchtlings-Schleuser – Hauptfigur seines nächsten Features.
Als Featuremacher wehre ich mich immer dagegen, in die Nähe von Radio-Kunst gerückt zu werden. Natürlich nutzen wir alle Feinheiten des Handwerks, der eine oder andere in virtuoser Form. Aber zur Kunst gehört die Kunst-Absicht. Im Feature sind wir – schon von der Entstehungsgeschichte des Genres her – Publizisten, Journalisten, Berichterstatter, as you like. Wir benutzen (na, von mir aus) “künstlerische” Mittel und pflegen Tugenden der Hochkultur: dramaturgisches Gespür, Musikalität, eine “geschliffene” Sprache.
Ich selbst fühle mich als eine Art Medien-Handwerker. An die Tür meines Berliner Studios hatte ich bescheiden das Schildchen “Werkstatt” genagelt. Doch wie oft entgehen unserem Blick vom Olymp des öffentlich-rechtlichen Systems in die Niederungen des kommerziellen Mischbrot-Programms Begabungen wie Toni Schmitt. Zugegeben – inmitten all des BLABLA und BUMBUM sind sie schwer zu finden, die guten Reporter/Autoren, die ihr Handwerk beherrschen.
Obwohl ich ein Fußballmuffel bin, höre ich gern die sonnabendlichen Konferenzschaltungen und erfreue mich an den sprachlichen Stunts, den Loops und Sturzflügen der Reporter. Auch das ist unser Radio. Wir sollten öfter mal reinhören in die Ebenen des Medienalltags !
Und sei es unter der Bettdecke.