Zur geplanten Einstellung von Kulturradio hr2.
(Stand: 10. August 2019)
Ich habe geträumt. Es war ein Albtraum. An der Tür im Funkhaus, durch die ich oft mit noch ungeborenen Sendungen unterm Arm in „meine“ Redaktion getreten bin, hängt ein Schild: „Wegen Geschäftsaufgabe – Restposten – billig“. Links und rechts der Tür Manuskriptstapel, mein jüngstes obenauf. Auch Flaggschiffe des Senders liegen da im Flur herum, wie gestrandet: „Der Tag“, „Doppelkopf“, „Kulturfrühstück“, “Camino”, Lesungen, das „Hörbuchmagazin“, die einzigartigen Radiotage, Hörspiele und Features. Jeder kann zugreifen, „solange Vorrat reicht!“
Ein Anschlag im Infokasten berichtet vom Treffen einer „Portfoliogruppe“, die heute über die Verschiebung des kulturellen Worts in den Info-Kanal oder auf die Internetplattform debattiert. Im übrigen unterstreicht der programmatische Text in farbig hervorgehobenen Lettern Begriffe wie „Informationsangebot“, „Richtungsentscheidung“, „gravierende Konsequenz“, „Strategische Weichenstellung“, „Zukunftsfähigkeit“, „Begleitmedium“, „Durchhörbarkeit“. Und mir wird, sofern das beim Träumen geht, weich in den Knien, und ich setze mich auf einen Stapel produktionsreifer Manuskripte und sinniere über Begriffe wie „jüngeres Publikum“ (gehöre ich mit meinen beinah 80 Jahren nicht mehr zu den täglich Hunderttausend hr2-Hörern?) Und ich buchstabiere „Veränderte Hörgewohnheiten“, wobei ich unwillkürlich nach den Ohren taste (sind noch da!)
Auch fallen mir ähnliche Signale aus der Hauptstadt ein: „Der RBB organisiert sich medienübergreifend in Contentboxen“ und „Inhalte entstehen künftig in der Contentbox RBB Kultur“. Das „breite“ Publikum solle erreicht werden, hat die Senderchefin verkündet. „Breit?“ Schon in den Vierziger Jahren freute sich Ernst Schnabel, ein Säulenheiliger des Radiofeatures, es sei „doch eine ungeheuere Erleichterung und eine riesige neue Aufgabe, kein Massenmedium mehr zu sein“. Nicht in die Breite führt der Weg eines Kulturkanals, mehr in die Tiefe.
Es gibt Sendeformen, die einem uralten Kanon des Erzählens folgen (Hörspiel, Spielarten des Features, lange Gespräche). Ihre Zerbröselung auf verschiedene Plattformen käme der Auslöschung gleich. Vielmehr müsste sich doch eine „Programmstrukturreform“ den Stärken bewährter Formate und ihrer fortlaufenden Optimierung widmen– und nicht umgekehrt.
Aber das denke ich schon, als der Traum vom großen Abverkauf multimedial-verfügbarer Inhalte aus Contentboxen vorbei ist. Was unsereins so alles träumt! Natürlich wird es nie so kommen – weder in Frankfurt/Main noch in Berlin. Auch nicht anderswo in den weiten, lebendigen, weltoffenen Gefilden der ARD-Kulturradios. Nein, wir bleiben dauerhaft und unbeschädigt im „Portfolio“!
Oder ist das schon der nächste Traum?